Arne, Henning & Tom on Tour - Konzerttagebuch

Herr Seele und das Zimtmädchen. Neil Young & Crazy Horse in der Berliner Waldbühne.

Neil Young Waldbühen BerlinRückblende. Juni 2001: Neil Young und Crazy Horse spielen ein denkwürdiges Konzert in der Waldbühne. Es ist heiß – sehr heiß. Wir stehen vorne, vielleicht acht Reihen vor der Bühne. Der Preis für den Einlass beträgt 71 Deutsche Mark. Neils Gitarre sägt scheinbar Scheiben aus der Muschelkalkverkleidung der Veranstaltungsstätte. Crazy Horse rumpelt majestätisch vor sich hin. Sie singen das Lied von „Cortez“, dem Killer und ein mächtiger, verzerrter, klagender Gitarrenton hängt schwerlelos in der Sommerluft. „Like Hurricane“ will nicht enden und Neil kniet über seiner schwarzen Gibson, deren zur Mikrophonie neigende Tonabnehmer er mit den Enden der abgerissenen Saiten bearbeitet. Selten hat mich ein Konzert so beeindruckt wie dieses.
Knapp Zwölf Jahre später, am selben Ort: 
In der Zwischenzeit ist bei Neil Young einiges passiert. Einige schlechte Platten. Einige Gute. Greendale. Dicke Elektroschlitten. Das Hirnaneurysma. Crazy Horse sind nach langer Pause wieder unterwegs und kehren in die Waldbühne zurück. Die letzte Crazy Horse-Platte ist wieder eine der gelungeneren: Bräsig-lange Stücke, die hypnotisch vorantraben, ellenlange Gitarrensoli piepen und schrammeln vor sich hin. Ungehobelt, verzerrt, überlang. Der Sommer 2013 ist dagegen bislang weniger gelungen. 100% Regenwahrscheinlichkeit melden unsere Smartphones für den Sonntag. Statt vorne im Getümmel finden wir uns auf einer Bank im Unterrang wieder. Sitzplatz und Superübersicht, Funktionsjacke statt T-Shirt, die Karte kostet nun 80 Euro. Am Ende hält das Wetter so grade, ein paar kleine Schauer kommen vorab runter, der Hauptact bleibt verschont.

Crazy Horse beginnt mit „Love and Only Love“, es scheppert und dröhnt gleich wie es soll. Ragged Glory. „Powderfinger“ erzählt die Geschichte vom jungen Mann, der zu früh sterben muss und dem Hörer aus dem Jenseits mahnende Worte mit auf den Weg gibt. Ein Beispiel für Youngs große Liedmacherkunst – diese in wenige Zeilen kompakt verdichte Szene entwickelt eine biblische Wucht – auch durch Youngs zerbrechliche Stimme über dem metallisch-dröhnenden Rumpelsound. Dagegen kommen die Texte seiner letzten Schallplatten doch etwas belanglos und austauschbar daher. Aus dem aktuellen Werk „Psychedelic Pill“ stechen an diesem Abend „Walk Like a Giant“ und „Ramada Inn“ deutlich hervor – zwei lange Rockbretter, bei denen Crazy Horse Ihren berühmten dröhnigen Garagensound in aller Gemütlichkeit auswalzen. Darüber wabern einfache, aber berührende Melodien, mal mehrstimmig gesungen, mal gepfiffen (!) mal mit der verzerrten Gitarre verstümmelt. Bass und Schlagzeug scheppern unbeirrt und hypnotisch daher – im Grunde sind die Krautrock-Ansätze von „Neu!“ und Konsorten strukturell nicht weit entfernt.

Neil Young Waldbühen Berlin

Zwischendrin stimmt Young solo „Heart of Gold“ und „Blowin in the Wind“ an, vielleicht als Konzession an all die im Publikum, die ihn nicht für seine wüsten Rückkopplungsorgien mit „The Horse“ kennen und lieben. Zwei weitere softe Nummern hat er im Programm, die bislang noch nicht veröffentlicht sind: das locker-flockige „Hole in The Sky“ mit süßem, mehrstimmigen Gesang und einem einfachen, aber mitreissendem Beat. Und das schmalzig-belanglose „Singer without a Song“ mit der bislang überflüssigsten Bühnenschaueinlage des Konzertjahres: Frau kommt mit Gitarrenkoffer auf die Bühne. Guckt sich um. Ab.

Zum Ende hin dreht die Band nochmal voll auf. Mit „Cinnamon Girl“, „Mr. Soul“, „Fucking Up“ und „Hey Hey My My“ prasseln die riffaufgeladenen Klassiker auf das Publikum ein. Die Outros werden gedehnt bis es in den Verstärkern kracht und knirscht. Neils „Old Black“ heult und jault rostig-metallisch. Billy Talbots Bass brummt uns in der Magengegend. Man belässt es bei einer Zugabe: Das majestätische Schlachtross „Like A Hurricane“ beschließt donnernd einen tollen Konzertabend, der das letzte, nicht ganz so gelungene Berlin-Konzert (in der unsäglichen Mehrzweckhalle am Ostbahnhof) des Künstlers schnell vergessen lässt und in seinen vielen guten Momenten den Bogen zu jenem magischen Abend zwölf Jahre zuvor schlägt. Der Kreis ist geschlossen. Es muss wohl wieder das Jahr des Pferdes sein.

Setlist:

Love And Only Love
Powderfinger
Psychedelic Pill
Walk Like A Giant
Hole In The Sky
Heart Of Gold
Blowin’ In The Wind
Singer Without A Song
Ramada Inn
Cinnamon Girl
F*!#in’ Up
Mr. Soul
Hey Hey, My My (Into The Black)

Like A Hurricane

Weitere Rezensionen des Konzerts:

FAZ: Rückkopplungen als Weltkulturerbe

tagesspiegel: Die Nacht der Riesen

1 Kommentar

  1. Werner

    Da kommt Freude auf! Sehr feiner Bericht! Interessanter Special-Effect!?? Ich freue mich schon sehr darauf, Neil und The Horse in Lucca zu sehen!!

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