
Einer der Reize der angesagten Midlifecrisis-Sportart Rennradfahren ist der Umstand, dass man beim Pedalieren ganz nebenbei schöne Orte besucht, an die man sonst nie gekommen wäre. So verschlug mich eine lang geplante Ausfahrt am vergangenen Wochenende nach München und die Gelegenheit zum Besuch des legendären Puch Open Air bei Jetzendorf tat sich auf. Puch – schon mal gehört – die frühen The Notwist, Tocotronic und so. Robert Forster, Neu! und Element of Crime waren auch schon da.

Ohne ganz genau zu wissen, was sich hinter dem diesjährigen Line-Up verbirgt, machten wir uns auf ins südbayerische Tertiärhügelland.

Am späten Nachmittag erreichen wir den Hügel hinter dem Bio-Bauernhof und verstehen gleich, warum das hier seit 30 Jahren ein magischer Ort in der deutschen Musiklandschaft ist. Die sonnenbeschienene Obstwiese erhebt sich als natürliches Amphitheater gegenüber einer kleinen Bühne. Ein paar kleine Buden, einige Kinder, einige Hippies, ein paar Lichterketten. Am Ende vielleicht 1.000 Menschen fläzen sich unter Apfelbäumen und hören Indie-Rockmusik. Herrlich.

Sonnig, lässig.
Die Schnecken Im Hochbeet machen den Anfang. Wir nehmen nur die letzten beiden Stücke noch mit. Guter Name, etwas schriller, aber ein unterhaltsamer erster Eindruck.

Danach übernimmt Zement aus Nürnberg, musikalisch mit der Mischung aus gitarrigem Krautrock und Psych-Rock für mich musikalisch greifbarer. Schiebt schonmal mächtig den Hang hoch.

Mit Vandalisbin kommt dann das Fest schon mal auf Hochtouren. Die Neuentdeckung bringt die Leute zum Tanzen und versprüht eine Energie, der man sich schwer entziehen kann. Adoleszente Lebensfreude, Welt- und Herzschmerz verschmelzen hier so cool, wie es nur in einem Popsong geschehen kann. (Oder vielleicht in einem TikToc-Reel?). Die bandleadende Sängerin singt die meiste Zeit Schlagzeug spielend. Beim “Regen”-Lied erinnert mich der Gesang zwischendrin kurz an Jeff Buckley. Wir nehmen mit, dass es inzwischen (wieder) völlig OK und cool sein kann ein ekstatisches und übertrieben gniedeliges Gitarrensolo in seine Lieder einzubauen.

Dann kommt das Festival-Heimspiel für Monostars, verdiente Urgesteine des deutschsprachigen Indierock, welche aber an mir – bis zu diesem Abend – komplett vorbei gegangen waren. Und so wird dieser famose Auftritt für mich zu einer späten, aber umso freudigeren Entdeckung. Los geht es mit einem neuen Stück Hierher, es wird programmatisch proklamiert:
“Es ist Liebe
aus: Monostars – Hierher
Ja, es ist Liebe
Eine Liebe
Ohne Macht
Das hat uns hierher gebracht
Das hat uns hierher gebracht“
Ja, und uns ja irgendwie auch. Die mal düsteren, mal witzigen Texte werden in lakonischem Sprechgesang dialektgefärbt intoniert. Getragen von mal motorischen rumpelnden und mal eher hakelig rumpelnden Drums, weben sich zwei Gitarrenstimmen einander und werden immer wieder von gespenstischen Horrorfilm- bzw. Horrorheimorgel begleitet. Die betont unprätentiösen Ansagen (“Jetzt haben wir die Stimmung hier ganz schön runtergezogen…” ) machen das Bild komplett. Es wird langsam dunkel, die Bäume hinter der Bühne leuchten grün und es heißt:
“Das war sie
aus: Monostars – NiemanD
Die Somatolyse
Die Auflösung der Körper
Das Verschmelzen der Lebewesen
Mit ihrer natürlichen Umgebung“
Und so ähnlich fühlt es sich an, auf dem magischen Hügel an diesem herrlichen Sommerabend. Ganz am Ende geht der Bassverstärker in die Knie, das Instrument muss behelfsmäßig direkt abgenommen werden (“Wäre echt schade, wenn ihr den einen Ton nicht hören würdet” – und genauso ist es. Der Zug aus Dresden-Neustadt fährt ab:
“Auf der Zugfahrt nach Berlin in einem
aus: Monostars – Dresden-Neustadt
ICE-Großraumabteil
Spielt ein Junge mit einem Flugzeug
Aus einem Überraschungsei
Er läuft im Gang damit auf und ab und macht
Motorengeräusche
Ich hänge weiter Erinnerungen nach
Als ob ich sie zum Überleben bräuchte“
Starker Abschluss eines tollen Sets.
Die senegalesische Gruppe Mark Ernestus’ Ndagga Rhythm Force konnte uns dann nicht mehr so erreichen, vielleicht war das auch dem langen Soundcheck oder dem langen Tag und den müden Beinen geschuldet. Wir fahren ab, ein schöner Konzertabend an einem schönen Ort, an dem man sonst vielleicht nie vorbei gekommen wäre, mit tollen Bands, die man sonst vielleicht nie live gehört hätte.