Wie immer: Etwas spät dran. Ein Frohes Neues Jahr und alles Gute!
Low – “Hey What” (Sub Pop)
Nichts für schwache Nerven: Low sind weiter auf der Suche nach verstörenden Sounds an und über der Grenze der normativen Lautsprecher-Belastbarkeit. Allerdings immer in Dienste des Songs. Immer noch betörend: der zweistimmige Gesang als harmonisches Gegenstück im Strudel wüster Loops aus Drones und Feedback.
Masha Qrella – “Woanders” (staatsakt)
Thomas Braschs Lyrik im Indie-Gewand vertont. Passt wie angegossen. Eine wunderbare Platte mit Sogwirkung. Das Gute-Nacht-Lied mit Chris Imler und der Mundharmonika – für die Ewigkeit.
Mit Inferno fügte Robert Forster in diesem Jahr seinem famosen Spätwerk ein weiteres, kunstvolles Kapitel hinzu. Mit lakonischem Witz und trockener Lässigkeit erzählt er auf den Punkt und schnörkellos. Ein netter Lou Reed – wenn es so jemanden überhaupt geben kann. Ein Lied für die Ewigkeit ist auch noch dabei: One Bird in the Sky.
Die Heiterkeit – Was passiert ist
Nach dem großartig-spröden Doppelalbum Pop und Tod I + II kehrt die Heiterkeit mit einer farbigeren Palette zurück – die Lieder kommen breiter instrumentiert und beschwingter daher. Die Stimmung: Heiter bis wolkig im Kontra-Alt – am Ende bleibt aber: “der Himmel ist jetzt ein Aschehaufen“.
Purple Mountains – Purple Mountains
Zehn Songs über die Düsternis in dir – groovig, süffig, bissig, klar, bitter. Witzig und ergreifend wie nur was. Perfekte Popmusik.
Dan Mangan – More or Less. Abwechslungsreiche Platte mit bittersüß-kitschigen Balladen neben lakonischen Pop-Hymnen, hier und da durch frickelige Beats oder polyrhytmisches Getrommel flockig bewegt. Sehr geschmackvoll.
Daniel Blumberg – Minus. Moll-Piano, Schrammelgeige. Gitarren wie rostige Sägen. Neil-Young-Harvest-Ära-Stimmefarbe. Sehr unmittelbar und sehr bewegend zwischen Dissonanz und Wohlklang.
Eine neue Konzerthalle in Berlin. Von außen an eine übergroßen Dunkin’ Donut-Filiale erinnernd, von Innen mit dem Charme ein Multiplex-Kinos. Der Konzertsaal selbst ist sehr hoch und ein Raum ohne besondere Eigenschaften. Ton und Sicht einwandfrei, das ist ja das Wichtigste. Die Sanitäranlagen sind „für hohe Gleichzeitigkeiten“ bemessen – der Laden ist schon ganz OK. Beim rausgehen musste ich am Treppen-Nadelöhr unweigerlich an einige Staus in der Columbiahalle denken…- kann ja noch werden. Deutlich mehr Charme und Atmosphäre verströmt erwartungsgemäß das liebgewonnene und etwas kleinere Tempodrom. Über die „Urban-Entainment“-Konsumvorhölle vor der Tür verliere ich an dieser Stelle kein weiteres Wort.
Als Vorband trat die Berliner Gruppe Gewalt auf – ein mutige aber auch passende Wahl. Dabei wurden im Widerschein einer blauen Rundum-Leuchte über fett-technoid anmutende Beats und schroffe Dröhngitarren Parolen wie „Das neue Gold heißt Pfand!“ und „Ihnen droht Obdachlosigkeit,…Ob-dach-los-ig-keit!“ proklamiert. Zur Einweihung einer Halle deren Geld- und Namensgeber ein multinationaler Versicherungskonzern ist, hatte das natürlich einen gewissen Charme. Für ästhetisch und und musikalisch strenge Konzepte ist ja auch der Protagonist des Abends bekannt.
Die Mobiltelefone wurden für diesen Abend zum Zwecke der Konzentration aufs Wesentliche in grüne Filztäschlein verbannt – ein interessantes und aus meiner Sicht erfolgreiches Konzept. Vielleicht gibt es künftig ähnliche Lösungen für die Besucher, die, sobald ein etwas leiserer oder langsamerer Song kommt, immer unbedingt ihre Nachbarn lautstark volllabern müssen? Nur so ein Gedanke.
Jack White begann auch gewaltig mit einer Schrammelrock-Orgie über wüsten Beat der Ausnahmetrommlerin Carla Azar. Vor seiner selbst verordneten Konzertpause waren Whites Konzerte durch Besetzungen mit Geige und Steel–Gitarre aufgefallen. Nun hat er sich einen vermeintlich moderneren Sound verordnet und tritt – neben der extrem kompakten Rhythmusgruppe zu seiner rechten – mit zwei Tastenmännern auf, die fetteste Synthesizern und Sample-Pads bedienen. So erhebt sich ein fetter Schweinerocksound, bei dem die Orgel manchmal die zweite Gitarre ersetzen und die erste auch mal wegdrücken statt einzurahmen. Manchen Songs seines Best-of-der-ganzen -Karriere-Programmes tut das besser als anderen.
Im Leipziger Haus Auensee stand der Abschluss der Deutschlandtournee von Nick Mason‘s Saucerful of Secrets auf dem Programm. Mir kam es so vor, als sei die Band in Leipzig noch etwas knackiger und kompakter unterwegs gewesen als am Abend zuvor in Berlin und in Rostock.
Auf jeden Fall nimmt die Spielfreude nicht ab – im Gegenteil. In Stücken wie Interstellar Overdrive wird tatsächlich jeden Abend etwas improvisiert. Da tauchen auf einmal im Mittelteil Sounds und Riffs auf, die sonst nur noch in der Early-Years-Box herumschwirren.
Die Bühne im Haus Auensee wird von einem überbreiten, halbkreis-förmigen Stuckfries beherrscht, der beim geneigten Zuschauer zunächst eine entsprechende Assoziationskette zu den ganz großen Namen auslöst: Crystal Palace Bowl(auch am See), Hollywood Bowl, Radio City Music Hall!
Auf den zweiten Blick erinnert die Jahrhundertwende-Architektur des späteren „Jugend-, Tanz- und Freizeitzentrums“ (ehemals „Luna-Park“ – wie passend!) dann doch eher an die zahllosen „Theatre“ und „Ballrooms“, in den dieses merkwürdige und furiose Frühwerk vor fast 50 Jahren seine Erstaufführung erlebte. Die Wiederaufführung in Leipzig-Wahren war ein -weiteres- Fest.
Die Deutschlandpremiere der „Saucerful of Secrets“-Konzertreihe fand in einem unwirtlichen Gewerbegebiet unweit des Rostocker Fischereihafens statt. Der Veranstaltungsort Moya in der ehemals volkseigenen Rostocker Zündwarenfabrik war für diese Tournee und den Pink Floyd-Kosmos eher unüblich gewählt. Als kleinste Spielstätte der Tour und –ursprünglich – als Stehplatzkonzert auch etwas günstiger anberaumt, hatte der Ort aber durchaus seinen Reiz.
Pink Floyd-Schlagzeuger Nick Mason macht seit diesem Frühjahr – völlig überraschend – Fan-Träume wahr und spielt mit einer neu zusammengestellten Band kreuz und quer durch das Frühwerk der Band, welches von seinen ehemaligen Kollegen und der Vielzahl an Coverbands weitestgehend ignoriert wird (einige löbliche Ausnahmen bestätigen diese Regel). Masons Truppe spielt dieses Material mit Verve und unübersehbarer Spielfreude. Dabei hält man sich nicht sklavisch an die Originale sondern interpretiert sie bisweilen neu – würdevoll und Geiste der ursprünglichen Komposition. Weiterlesen
Bielefeld, Seidenstickerhalle. Mein zehntes Dylan-Konzert in 20 Jahren, nun in der Heimatstadt. Zuletzt war ich 2013 im Berliner Tempodrom dabei, inzwischen ist mal wieder einiges passiert: Sinatra-Alben, Nobelpreis, American Songbook-Album – nun ja. In Dylans Wohnzimmer – auf der Bühne- ist im Grunde aber alles beim alten geblieben: Filmscheinwerfer, Vorhang, keine Fotos – Bitte. Neben seinem „Things Have Changed“-Oscar steht nun eine Büste der Poesie – vielleicht als Hinweis auf die Stockholmer Ehrung. Nun, dort geht es ja auch gerade drunter und drüber.
Zeit für noch eine weitere Aufarbeitung des Kalenderjahres 2017. Das Sigge-Rocktours-Team wünscht allen Besuchern der Seite besinnliche Feiertage und alles Gute für das neue Jahr!
Meine Lieblingsplatten 2017:
Cameron Avery – Ripe Dreams Pipe Dreams
Reich instrumentierte, abwechslungsreiche Platte rund um Averys Crooner Stimme. Die Streicher streichen, die Engel singen: Wasted on Fidelty! Weiterlesen
Über diesen Abend wird noch lange zu reden sein: Nick Cave gab in der Max-Schmeling-Halle ein sensationelles Konzert, das den Künstler ganz im hier und jetzt und auf einem Höhenpunkt seines Schaffen zeigte. Vor dem Hintergrund einer persönlichen Tragödie scheinen sich das Werk und die charismatische Bühnenpräsenz dieses Mannes noch verdichtet und intensiviert zu haben. Kaum ein Song aus seinem Katalog, der nicht zwangsläufig eine tiefere Bedeutung über Verlust und den Umgang damit erfahren hat. Seine neuen Songs entfalten auf der Bühne durch die eindringliche Aufführung eine drückende Kraft, die sich auf der Platte nur erahnen lässt. Weiterlesen
Da waren‘s nur noch drei. Nach dem krankheitsbedingten Ausfall Martin Bulloch und dem Ausstieg von John Cumming nach dem letzten regulären Studioalbum „Rave Tapes“ standen in der Columbiahalle noch drei Kernmitglieder der klassischen Mogwai-Besetzung auf der Bühne – streng genommen sogar nur zwei Gründungsmitglieder. Dessen ungeachtet überzeugten Mogwai durch eine sehr kräftige und mitreißende Vorstellung mit einer abwechslungsreichen Setliste.
Die Aushilfsschlagwerkerin Cat Myers machte einen mehr als respektablen Eindruck und brachte sich mit einem etwas dynamischeren Spiel, als man es vom extrem stoischen Bulloch gewohnt ist, ein. Mir hat es sehr gut gefallen, dass es in dieser kräftigen Musik eine Spur mehr swingte. Die drahtige junge Dame mit schnittiger Kurzhaarfrisur sorgte auch optisch für Abwechslung im sonst doch recht ereignisarmen Mogwai-Bühnenbild („Kräftige-Jungs-nehmen-nach-dem-Song-einen Schluck-aus-der-Becks-Flasche-und-kriegen-dann-und-wann-eine-andere-Gitarre-umgehängt“). Weniger druckvoll war es deswegen aber keineswegs. Der klassisch-staubtrockene Mogwai-Schlagzeug-Sound schob die Stücke vor sich her wie eh und je.
Man kann den Flaming Lips nicht vorwerfen sie würden halbe Sachen machen: Gleich im ersten Song – dem sowieso schon mitreißenden „Race for The Prize“ – wird die Menge Konfetti ins Publikum geschossen, mit der der geneigte Bühnentechniker sonst eher das Olympiastadion bedenkt. Zeitgleich segeln Dutzende Riesenluftballons in die Halle – sofort fühlt man sich mitten ins Bällebad auf einem sehr sehr durchgeknallten Kindergeburtstag versetzt. Regression? Weltflucht? Das breite Grinsen kann man sich jedenfalls nicht so schnell aus dem Gesicht wischen.
Das Amphitheaterder der Ruinenstadt Pompeji ist wohl für jeden, der sich mit Pink Floyds Schaffen vor den Überalbum Dark Side of the Moon und dem was darauf folgte intensiver beschäftig hat, der Sehnsuchtsort schlechthin. Für mich stellt der wirkmächtige Konzertfilm Live at Pompeiivon 1971 einen Dreh- und Angelpunkt im Werk dar. Mystisch und erhaben präsentiert dieser die Band auf dem Höhepunkt ihrer prägenden Frühphase. Eine zeitlose Musik der anderen Art, die jedes langweilige Rock’n’Roll-Klischee weit hinter sich lässt. David Gilmour bespielt überraschend auf seiner aktuellen Welttournee diese heilige Stätte für zwei exklusive Konzerte. Dass der Gitarrist und Sänger in Sachen Songauswahl, Stimme und authentischer Aufführungspraxis der Fackelträger oder Lordsiegelbewahrer dieser frühen Bandperiode ist, hatte er 2006 eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Mit einer Portion Glück und auch unter Einsatz nicht unerheblicher finanzieller Mittel konnte das Sigge-Rocktours-Triumvirat sich die Teilnahme am zweiten Abend auf heiligem Boden sichern. Weiterlesen