Die Band heißt Gewalt und geht so“.

Der Satz von Patrick Wagner, dem Kopf, Sänger und Gitarristen der Berliner „Wutwave“ Band Gewalt war kaum zu Ende gesprochen, als er fast zeitgleich mit dem Fuß das Pedal drückte und ohne Vorwarnung schleuderte der brachiale und ohrenberstende Beat von „Guter Junge, Böser Junge“ (mit fast 6 min Intro) dem Publikum entgegen.

Gleichzeitig begann die blaue Rundumleuchte, die im Hintergrund platziert war, die Finsternis der Berghain Kantine stroboskopartig zu zerhacken.  

Ich stand mit offenem Mund da und dachte: „What the f…ck“ ist das?

Begeistert und mit 2 Singles unterm Arm, verließ ich weit nach Mitternacht und tief beeindruckt das Gebäude.

Das war im Jahr 2018. Seitdem sind die Jahre vergangen und viele Gewalt Konzerte sollten folgen.

Da war der fantastische „Schocker“ in der 8mm Bar (2023).

Diese emotionale Wiederkehr („Ultra bizarr“) während der Corona Pandemie im leicht bestuhlten Kesselhaus (2020).

Unvergessen die feine und leise Lesung (vor dem Record Release Konzert zur LP „Paradies“) aus seinem großartigen Bild-Geschichtenband in der Zukunft am Ostkreuz (2021).

Dieser inzwischen schon legendäre Auftritt als Support für Jack White in der Verti Music Hall (2018), aber auch das Konzert „am Rande des Wahnsinns“ im völlig überfüllten Maschinenhaus (2018).

Gewalt haben sich über die Jahre stetig weiterentwickelt. Alben und Singles wurden veröffentlicht, welche im Feuilleton überwiegend positiv besprochen wurden. Es folgten viele Konzerte in Europa und den USA.

Radiointerviews, Artikel in den Printmedien, arte-Konzertsessions, Musikvideos, Merchandising, Plattenvertrag. Es könnte nicht besser laufen. In einer Zeit, in der es wahrlich keine Freude ist, sein Geld im Musikbusiness verdienen zu wollen.

Doch, so mein Eindruck, der große Durchbruch ist Ihnen bislang verwehrt geblieben.

Ist Ihre Musik „nur Nische“? Ist die Zeit heute noch nicht reif für Ihre Kunst? So wie es Shoegaze Anfang der 90er war und damals vom Grunge weggespült wurde?

Vielleicht fehlt auch nur dieser eine „David Lynch Moment“.

Man stelle sich vor, Quentin Tarantino würde heute sein episches Exploitationmovie „Death Proof“ drehen und in den letzten Minuten des Films würde man „Limiter“ von Gewalt hören.  „It´s a Banger“.

Doch im gleichen Atemzug denke ich: Will das die Band? Ist sie dafür geschaffen? Ich weiß es nicht und bin unsicher darüber. Mit dem künstlerischen und kommerziellen Erfolg kommen die Erwartungen, die Kompromisse, der Druck.

Doch die Miete muss bezahlt werden.

Death Disco

In Athen ging ihre aktuelle Europa Tournee weiter. Zufällig war ich in der Stadt und es gab natürlich keinen plausiblen Grund nicht zu einem Gewalt Konzert zu gehen. Es war inzwischen mein elftes.

Das „Death Disco“ war ein kleiner, überschaubarer Raum der gut besucht war.

Trotz Knöchelverletzung war Helen Henfling mit Orthese an der Gitarre dabei.

Sol Astolfi („die einflussreichste Bassistin der Gegenwart“) ist inzwischen neu hinzugestoßen und peitscht die Basslines nur so raus.

Eine großartige Wahl. Es funktioniert.

Wie immer sind Gewalt Auftritte, insbesondere für Patrick Wagner, physische Grenzerfahrungen. Seine spürbare Leidenschaft, mit der er auf der Bühne seine Leidensfähigkeit immer wieder austestet, ist bemerkenswert. Ans Limit gehen, oder darüber hinaus. Unbarmherzig, auch zu sich selbst.

Texte, die den Finger in die Wunde legen. Mit der größtmöglichen Direktheit.

Was denn?
Was ist denn?
Was willst du denn von mir?

Aus „Szenen einer Ehe“

Trans“ war der Opener an diesem Abend. Was für ein Brecher und Statement: Wir sind da. Hier und jetzt.

„Aus dem inneren des Bauches kommt die Wut, die durch die Lippen gepresst und geschrien wird“ so veranschaulicht Patrick, mit geballter Faust vor der Brust, dem Publikum seine Sichtweise zu den Songs. Auf Englisch, was bisher für mich ungewohnt war. Souverän führt er durch den Abend.

Ihr aktueller Longplayer „Doppeldenk“ stand größtenteils im Mittelpunkt des Sets. Natürlich wurden auch viele ihrer großen Hits gespielt („Limiter“, „Deutsch“,Junge“, „Es funktioniert“, „Gier“).

Das anwesende Publikum war bei den Hooklines ausgesprochen textsicher und feierte die Band frenetisch.

Das weiße Hemd und die rote Krawatte klebten inzwischen am Körper. Der Schweiß rann von der Stirn. Er lässt nicht nach. Jedes Lied, als wenn es das letzte wäre. Es geht immer um alles.

 

Bei „Guter Junge, Böser Junge“ singt er sogar ein paar Zeilen auf Englisch und mir kam dieser abwegige Gedanke, wie es wohl wäre, wenn Sie den einen oder anderen Song außerhalb des deutschsprachigen Raumes auf Englisch singen würden. So wie es die bekannte elektronische Band aus Düsseldorf praktiziert.

Mit „Schwarz Schwarz“ beendeten sie nach gut 70min das Set und die Rufe nach Zugaben beantwortet ein erschöpfter Patrick mit „Schau mich an“ um gleich nachzuschieben “Gewalt spielt nie Zugaben“.

Ruhe. Erlösung. Stille.

Am Merchandising – Stand ist Patrick wie immer zugewandt, freundlich, glücklich und gelöst. Er lächelt. Ein Moment, in dem sich alles gelohnt hat. Das dankbare Publikum füllt ein wenig das Portemonnaie der Band. Wie wichtig, wie gut.

Das wirkmächtige Logo der Band gibt den Weg vor.

Der Kreis ist nicht geschlossen. Es geht immer weiter.

Wohin auch immer. Wie auch immer.

Und das ist gut so. 

 („Wir wissen nie, ob es ein Gewalt Stück ist, bis es ein Gewalt Stück ist“ – Patrick Wagner, live 2018)

Gewalt, Kesselhaus, 23.10.2020, Corona Pandemie
Gewalt, Kesselhaus, 23.10.2020, Corona Pandemie

Gewalt 8mm Bar, 09.11.2023

Gewalt, Lesung, Zukunft am Ostkreuz, 6.11.2021