Eine neue Konzerthalle in Berlin. Von außen  an eine übergroßen Dunkin’ Donut-Filiale erinnernd, von Innen mit dem Charme ein Multiplex-Kinos. Der Konzertsaal selbst  ist sehr hoch und ein Raum ohne besondere Eigenschaften. Ton und Sicht einwandfrei, das ist ja das Wichtigste. Die Sanitäranlagen sind „für hohe Gleichzeitigkeiten“ bemessen – der Laden ist schon ganz OK. Beim rausgehen musste ich am Treppen-Nadelöhr unweigerlich an einige Staus in der Columbiahalle denken…- kann ja noch werden. Deutlich mehr Charme und Atmosphäre verströmt erwartungsgemäß das liebgewonnene und etwas kleinere Tempodrom. Über die „Urban-Entainment“-Konsumvorhölle vor der Tür verliere ich an dieser Stelle kein weiteres Wort.

Als Vorband trat die Berliner Gruppe Gewalt auf – ein mutige aber auch passende Wahl. Dabei wurden im Widerschein einer blauen Rundum-Leuchte über fett-technoid anmutende Beats und schroffe Dröhngitarren Parolen wie „Das neue Gold heißt Pfand!“ und „Ihnen droht Obdachlosigkeit,…Ob-dach-los-ig-keit!“ proklamiert. Zur Einweihung einer Halle deren Geld- und Namensgeber ein multinationaler Versicherungskonzern ist, hatte das natürlich einen gewissen Charme. Für ästhetisch und und musikalisch strenge Konzepte ist ja auch der Protagonist  des Abends bekannt.

Die Mobiltelefone wurden für diesen Abend zum Zwecke der Konzentration aufs Wesentliche in grüne Filztäschlein verbannt – ein interessantes und aus meiner Sicht erfolgreiches Konzept. Vielleicht gibt es künftig ähnliche Lösungen für die Besucher, die, sobald ein etwas leiserer oder langsamerer Song kommt, immer unbedingt ihre Nachbarn lautstark volllabern müssen? Nur so ein Gedanke.

Jack White begann auch gewaltig mit einer Schrammelrock-Orgie über wüsten Beat der Ausnahmetrommlerin Carla Azar. Vor seiner selbst verordneten Konzertpause waren Whites Konzerte durch Besetzungen mit Geige und Steel–Gitarre  aufgefallen. Nun hat er sich einen vermeintlich moderneren Sound verordnet und tritt – neben der extrem kompakten Rhythmusgruppe zu seiner rechten – mit zwei Tastenmännern auf, die fetteste Synthesizern und Sample-Pads bedienen. So erhebt sich ein fetter Schweinerocksound, bei dem die Orgel manchmal die zweite Gitarre ersetzen und die erste auch mal wegdrücken statt einzurahmen. Manchen Songs seines Best-of-der-ganzen -Karriere-Programmes  tut das besser als anderen.

Im ersten Drittel des Konzertes hat man zudem manchmal den Eindruck, White wähnt sich in einer Art öffentlichen Probe, bei der er jede Gitarre aus seinem Arsenal anspielen und in in jeder Effektwegkombination durchprobieren oder präsentieren will. Seiner Neigung zum gniedeligen Solieren fröhnte er auch ausgiebig. Es geht also bei seinen aktuellen Solokonzerten eher um das Ausbreiten oder –walzen  des  musikalischen Exzesses. Muss vielleicht auch mal sein, auch nicht schlimm, aber die konzentrierte Rauschhaftigkeit früher Auftritte – sei es mit den White Stripes, Raconteurs, Dead Weather oder Solo – geht dem Konzert zunächst etwas ab. Highlights der etwas unsteten ersten Hälfte waren für mich das funky-schiebene BlackBat Licorice und Missing Pieces.

Gegen Ende des regulären Sets entwickelte das Konzert einen starken Sog und sorgte im Publikum für die gewünschte Enthemmung. Die elektrische Version von Blunderbuss, der Stripes-Spätwerk-Single You DontKnow What Love is und das fette Solo in Why walk a Dog sorgten hier für die ersehnte Enthemmung.

Mit Steady as She Goes und I’m Slowly Turning Into You war mit dem Zugabenteil die Welt wieder vollständig in Ordnung. Gitarren, Getrommel, Stop-Start-Blues, Indie-Mitsingrefrains – herrlich.

Wir freuen uns auf die angekündigte Zusammenarbeit mit den Raconteurs.

Setlist:

  1. Over and Over and Over
  2. Sixteen Saltines
  3. Corporation
  4. Cannon
  5. That Black Bat Licorice
  6. Hotel Yorba
  7. Love Interruption
  8. Broken Boy Soldier
  9. Why Walk a Dog?
  10. Respect Commander
  11. I Cut Like a Buffalo
  12. The Hardest Button to Button
  13. Humoresque
  14. Catch Hell Blues
  15. We’re Going to Be Friends
  16. Blunderbuss
  17. You Don’t Know What Love Is (You Just Do As You’re Told)
  18. Freedom at 21
  19. Ball and BiscuitEncore:
  20. Steady as She Goes
  21. I’m Slowly Turning Into You
  22. Connected by Love
  23. Ice Station Zebra
  24. Seven Nation Army