Eindrücke vom siebten Synästhesie-Festival in der Berliner Kulturbrauerei:

Freitag, es ist echt richtig kalt geworden.

Los geht es mit Gewalt im Kesselhaus. Fette Beats und Gitarrenkrach aus abgerockten Groß-Verstärkern. Dazu Parolen, Bezichtigungen, An- und Vorwürfe, Gedanken- und Gesprächsfetzen ins Mikro gebellt, Stroboskoplicht. Erfordert “maximale Beweglichkeit im Kopf und in der Hüfte”.  Die neue Bassistin macht ihre Sache gut und ext zwischendrin drei Beck’s ohne Abzusetzen.

Hoch ins Maschinenhaus, Suns of Thyme mit druckvollem und melodiösen Set zwischen Shoegaze und Kula Shaker. Schiebt und schwingt. Guter Drummer und schöne Ölbilder über die Tageslichtprojektoren! Entdeckung des Abends.

Zurück im Kesselhaus. Tricky ist nach 30 Jahren nun auch bei der E-Zigarette angekommen:

Es schiebt ganz gut los, die ersten 20 Minuten noch mit wenig, dann auf Kommando ganz ohne Licht. Hören kann man sein Gegrummel am Miko kaum, vielleicht verschwindet er deshalb erst kurz, dann lange von der Bühne. Mitleid mit seiner tollen Band, die erst etwas verloren herumjammt, dann eine stille, folkige Nummer solo anstimmt, dann die Bühne ebenfalls verlässt. Vermutlich sind die dran gewöhnt. Zum Schluss erscheinen dann doch nochmal alle zusammen und bringen mit  einem druckvollen und beschwingten “Vent” das Set zu einem halbwegs versöhnlichen Ende.

Im Dunkel glimmt die E-Zigarette. Hier ist er noch auf der Bühne, irgendwo.

Die Nerven, deutsche Rockband der Stunde, haben mich so gar nicht angesprochen. Passiert auch mal.

Dann doch lieber noch schnell rüber in den Frannz-Club zu Jon Spencer and the Hitmakers. Zuletzt gehen im Forum Bielefeld vor 20+ Jahren. Haare, Kajal und Attitüde stimmen immer noch. Die Effekte auf dem Gesang ebenfalls. Links neben Spencer sitzt einer und klöppelt und hämmert mit allerlei Klöppeln und Hämmern auf Tonnen, Metallfedern und sonstigem  Gerümpel ‘rum. Der Bass ist nun ein brummender Synthi. Die klassichen Blues-Schemen und der trashige Groove sind unverkennbar- The Song remains the Same. 

Samstag, Schneegestöber.

Noch den Rest der Überraschungs-Ei-Band Asteroid #4 gesehen. Sehr schön! Auch hier wieder erhabene shoe-gazige Bretter, aber auch mit melodiösem Anspruch und tollen zwölfsaitigen Gitarrenparts. Klingt immer gleich so schön nach den Byrds und Kalifornien. Super.

Die zierliche Tess Parks übernimmt die große Bühne und erzeugt mir ihrer formidablen Band sogleich einen psychedelischen, fetten Groove. Tempo und Art der Songs variieren zunächst wenig, sondern erzeugen eher einen Mantra-ähnlichen Sog, über dem ihre Stimme schwebt. Nicht nur ich denke an Mazzy Star. Mit dem feisten Riff vom “Grunewald” und dem hymnischen “Wow” kommt dann noch anderer Zug ins das Set. Ein Festival-Highlight für mich.

Tess Parks muss Ihre Tele erst nach dem vierten Verschieben des Kapos stimmen
– Weltrekord.

Tempers kommen danach und haben auf ein paar Depeche Mode-Beats Hall-Gitarren und Hall-Gesang gelegt. Klingt erst interessant und dann sehr schnell langweilig, zumal auf der Bühne nix passiert. Überflüssig für mich.

Slowdive sind eine Legende im Shoegaze-Geschäft und nehmen dann zur Geisterstunde lässig und völlig zu Recht den Headline-Platz ein. Es ist pickepacke-voll im Kesselhaus. Der zunächst schlechte Ton – erst ohne Gesang und dafür mit Dröhn-Bass und übertrieben doller Kick  – ändert nichts am überwältigenden Eindruck. 

Schon länger im Shoegaze-Business: Slowdive.

 

 

Die Delay-Gitarren türmen sich erhaben und die Rythmus-Sektion schiebt bewährte Klassiker wie “Catch the Breeze” und “Alison” schön zügig vor sich her. “Sugar for the Pill” ein fast poppiger, fast neuer Klassiker. Ekstase bringt meist ein Stroboskop-Gewitter im Cresendo, Erlösung bringt meist das Ende des Stroboskop-Gewitters. Herrlich.

Den diesjährigen Totensonntag läuten Slowdive dann am frühen Morgen mit ihrem Arrangement von Syd Barretts Vertonung des James Joyce-Gedichts “Golden Hair” ein – Metaebene. Episch, erhaben und für die Ewigkeit.

“Singing and singing … a merry air…”

 

Draußen rieselt der Schnee noch leise.