Nick Cave Berlin 2017

Über diesen Abend wird noch lange zu reden sein: Nick Cave gab in der Max-Schmeling-Halle  ein sensationelles Konzert, das den Künstler ganz im hier und jetzt und auf einem  Höhenpunkt seines Schaffen zeigte.  Vor dem Hintergrund einer persönlichen Tragödie scheinen sich das Werk und die charismatische Bühnenpräsenz dieses Mannes noch verdichtet und intensiviert zu haben. Kaum ein Song aus seinem Katalog, der nicht zwangsläufig eine tiefere Bedeutung über Verlust und den Umgang damit erfahren hat. Seine neuen Songs entfalten auf der Bühne durch die eindringliche Aufführung eine drückende Kraft, die sich auf der Platte nur erahnen lässt.

Nick Cave Berlin 2017

Halten und gehalten werden. Sich anschleichen und zurückziehen. Wie ein Schamane bewegt sich Cave auf schmalen Laufstegen und tastet sich immer wieder mitten ins Publikum hinein. Nach den ersten zwei Liedern hatte Cave das Publikum in der prall gefüllte Funktionshalle in seiner Hand – an den leisen Stellen war es ehrfürchtig still, am Schluss von „Into My Arms“ kam fast eine kirchlich-feierliche Stimmung auf, als das Publikum den Refrain ohne Begleitung sang.

Nick Cave Berlin 2017

An diesem Abend stimmt einfach alles: Der Sound war annähernd perfekt, die unglaubliche Dynamik der Band von sanft jazzig zirpend bis heftig-punkig-schrammelnd wurde sehr transparent wiedergegeben. Der Bass knarzte und drückte vortrefflich. Das Licht war dezent arrangiert und angenehm zurückhaltend eingesetzt. Besonders im Gedächtnis ist mit  das hallenweite Strobo-Gewitter geblieben, mit dem sich der Tropensturm im ungut heranbrausenden  „Tupelo“ ankündigte.

Nick Cave Berlin 2017

Das Set entwickelte einen zunehmenden Sog. Der „Higgs Bosom Blues“ und „Jubilee Street“ – beide mit ungeheuren Ausbrüchen und beide aus der vorletzten Veröffentlichung „Push The Sky Away“ waren erste Höhepunkte in einem Set, indem dem sich eine Perle an die nächste reihte. Die Performance stand diesem Umstand in nichts nach: Das wüste „Red Right Hand“, das andächtige „Into My Arms“, der erbarmungslose „Mercy Seat“. Fast nicht auszuhalten die  fast greifbare, traurige Sehnsucht in „I Need  You“. An den Schluss des regulären Sets steht das sanfte und bewegende „Skeleton Tree“, im Bühnenhintergrund tobte ein Schneegestöber und es deutete sich so etwas wie die Ahnung eines Hoffnungschimmers an, als die Bad Seeds und Cave gemeinsam raunen: „… and it’s alright … now“.

Nick Cave Berlin 2017

Zum schmissigen „Weeping Song“ durchschreitet Cave das Publikum, um auf einem Podest mitten in der Halle die Beschwörungszeremonie in der Menge fortzuführen. Danach zieht er – das Bild des Predigers mit seinen Jüngern drängt sich auf – mit 30, 40 Fans zurück und herauf auf die Bühne. Und tatsächlich kommt es nach der wilden, apokalyptischen Party zur  Geschichte vom Blutrausch des „Stagger Lee“ zu einer Art Erlösungsszene: Der Schmerzensmann singt, umringt von seinen lauschenden Fans, das zarte Lied des Weitermachens und Weiterlebens, allem Unbill zum Trotz: „You got to keep on pushing, keep on pushing it – Push the sky away“ – Trostspende und Trauerarbeit in dunklen Zeiten. Ein Ausblick auf Licht am Ende des Tunnel und ein Hymne an die heilende Kraft der Musik.

Nick Cave Berlin 2017

And some people say it’s only Rock’n‘Roll

Oh, but it gets you right down to your soul”.

Setlist:

1.Anthrocene

  1. Jesus Alone
  2. Magneto
  3. Higgs Boson Blues
  4. From Her to Eternity
  5. Tupelo
  6. Jubilee Street
  7. The Ship Song
  8. Into My Arms
  9. Girl in Amber
  10. I Need You
  11. Red Right Hand
  12. The Mercy Seat
  13. Distant Sky
  14. Skeleton Tree

Zugaben:

  1. The Weeping Song
  2. Stagger Lee
  3. Push the Sky Away