Der Mittagsregenguss ist weggetrocknet, das zum Konzertbeginn angekündigte Gewitter zieht nicht mehr auf, die Sonne scheint. Die örtliche Vorband rockt amtlich und verweist auf den nächsten eigenen Gig im Prenzlauer Berg – vermutlich um die 14.000 Zuhörer weniger dann im Oktober. Der nicht ganz gefüllte Waldbühnen-Kessel zeigt sich also von seiner besten Seite. The Who betreten zum ersten Mal seit 2006 wieder eine Berliner Bühne. Im knallgelben Kaputzen-Einteiler trollt sich  Zak Starkey als verlebter Pikachu auf die Bühne und nimmt hinter einem goldenen Drumset Platz- schrill, aber wer es tragen kann und so trommelt…. Townshend und Daltrey erscheinen unaufgeregt mit Teetasse respektive Cola-Dose in der Hand. Der Klangkörper des Filmorchesters Babelsberg hebt mit der Overtüre aus Tommy an, die Gitarre dengelt, die Trommeln donnern und scheppern. Schnell ist klar: die berechtigte Skepsis, ob die in der Vergangenheit oft bemühte Kombi aus Rock + Orchester nicht überstrapaziert und außerzählt ist,  ist hier erstmal unbegründet.

Weite Teile des The Who-Katalogs beinhalten ja bereits klassische Stimmen – (damals meistens von John Entwistle eingespielt) – zudem ist bei den neuen Orchester-Arrangements ein guter Mix aus zurückhaltenden Begleitungen und prägnanter Umspielung der Kern-Rockband gelungen. Leider gibt der Ton an unserer Position an diesem Abend kein sehr  differenziertes Klangbild wieder – oft werden die hymnischen Passagen zu laut und matschig abgebildet.

Die Tommy-Eröffnung  vergeht wie im Flug. Mit dabei The Acid Queen, man denkt an die Performance der kürzlich verstorbenen Tina Turner im entsprechenden Film. Hier singt Pete Townshend sich seine Seele aus dem Leib und es klingt rau und herrlich.  Spätestens mit dem unvermeidlichen Who Are You? sind dann dann alle abgeholt und drin im Konzert, bei Eminence Front holen die ersten neues Bier. Die neuen Stücke von 1982 sind halt nichts für jeden.

Das Konzert ist streng in drei Teile sortiert. Nun geht das Orchester und die Kernband – so Townshend in seiner üblich lakonischen Art sinngemäß – “versucht mal so zu klingen wie früher, als wir noch jung waren, obwohl das vermutlich nie wieder klappen wird“. Es klappt aber erstaunlich gut und zwischen dem beschwingten The Kids Are Alright,  dem rumpeligen The Seeker und Substitute streuen The Who auch noch eine tolles und seltenes Tattoo ein – schönen Gruß aus Leeds. “Jetzt sagt nicht, ihr hättet den Boomern garnichts zu verdanken” kommentiert Townshend. 

Toll zu hören ist Townshends legendäre, bissige Rhythmusgitarre. Immer wieder setzt er Zusammenspiel mit Starkey dynamische Akzente. Die beiden Musiker tragen an diesem Abend den legendär-knackige The Who Sound in die Waldbühne. Statt Becken kommen im Übrigen inzwischen am Drumset Midi-Pads zum Einsatz – vermutlich um die Ohren der Beteiligten zu schonen.

Roger Daltrey nutzt die dramaturgischen Pausen – Instrumentals und wenn der Kollege Townshend singt – zum Durchschnaufen. Wenn er muss ist er da und singt kraftvoll und präzise, auch wenn die Phrasen nicht mehr ganz so lang sind. Hoffen wir, dass wir mit 79 halb so fit sind.

Das letzte Konzertdrittel beschließt ein langer Auszug aus Quadrophenia wobei das Orchester groß aufspielt und die beiden Schlagwerker Herrn Starkey noch unter die ständig fliegenden Arme greifen.

Das stampfende 5:15 liefert wie immer einen Konzerthöhepunkt – heutzutage jedoch ein giftiger Jam zwischen Gitarre und Schlagzeug statt des vormals famosen Basssolos. Sehr gelungen. Zum Ende dieser Sequenz bietet das Quadrophenia-Finale aus The Rock und Love Reig’n O’er Me natürlich den logischen und erhabenen Abschluss.

Ein tolles Konzert endet damit, dass im stürmischen Baba O’Riley 14.000-15.000  überwiegend ältere Herrschaften der Band den Refrain “It’s only Teenage Wasteland” beseelt entgegenrufen – fantastisch!

Eine Zugabe gibt es nicht und so beschließen wir am zweitlängsten Tag des Jahres den Abend mit dem Erklimmen der steilen Treppen des Waldbühnen-Tribüne noch im Licht der Dämmerung.

Setlist

Mit Orchester

Overture
1921
Amazing Journey
Sparks
The Acid Queen
Pinball Wizard
We’re Not Gonna Take It
Who Are You
Eminence Front

Band alleine

The Kids Are Alright
You Better You Bet
The Seeker
Substitute
Tattoo
Won’t Get Fooled Again
Behind Blue Eyes

Mit Orchester

The Real Me
I’m One
5:15
The Rock
Love, Reign O’er Me
Baba O’Riley