Die Elbphilharmonie hatte ich bereits im letzten Jahr bei einer Architekturführung kennen gelernt. Ein richtiges Konzert in der hochgelobten und optisch beeindruckenden Halle fehlte noch in meiner Sammlung. Das Konzert von Father John Misty kam mir da gerade recht. The National hatten auch schon einen vielbeachteten Auftritt in der Hafencity, der auch in unser Beuteschema gepasst hätte.  Damals zogen wir aus Termingründen allerdings den Doppelschlag Nick Cave / Heather Nova in Berlin vor. Mehr oder wenig zufällig stolperte ich über den Termin von Father John Misty. Als auch noch einigen Tagen noch Tickets vorhanden waren, schlug ich zu.

Ich mag das aktuelle Album God’s Favorite Customer, hatte aber noch nie ein Konzert von Mr. Tillman gesehen. Dafür fand ich umso mehr Gefallen an dem Video zum Song Mr. Tillman. Irgendwie eifert er Peter Gabriel nach und schaffte in den letzten Jahren, einige nette, sehenswerte  Musik-Videokunstwerke, obwohl die Zeit der Musikvideos schon seit 20-30 Jahren vorbei ist.

Nach einem kleinen Bummel über die Landungsbrücken, befördert mich die lange Rolltreppe auf die Plaza der Elbphilharmonie. Hier kann man nochmals die Nase in den Wind halten und die Aussicht genießen. Vor der Treppe zum großen Saal haben sich schon diverse Ordner platziert. Pünktlich um 18.30 öffnen sich die Absperrungen. Aus der Masse der Plaza-Besucher heraus bin ich tatsächlich der erste Konzertbesucher, der seine Karte zückt und die Treppe zum großen Saal erklimmt.

Room with a View

Das nach und nach eintreffenden Publikum verteilt sich gut auf den verschiedenen Etagen mit seinen zahlreichen Bars. Die nutzt man zwangsläufig, denn bis zur Öffnung der Saaltüren wird es noch gut eine Stunde dauern. An der Bar wird man dann schon etwas irritiert angesehen, wenn man keine Aperol Spritz oder ein Glas Wein ordert, sondern ganz ordinär eine Cola, weil man nach dem Konzert noch 250km Autobahn vor sich hat. Die Wartezeit vergeht wie im Flug den die Aussicht ist grandios egal ob nach außen oder nach innen. 30 Minuten vor Konzertbeginn öffnen sich dann die Türen zur heiligen Halle. Mein Sitzplatz befindet sich im Bereich K, direkt gegenüber von der Bühne. Perfekte Sicht. Da ein Großteil der Zuschauer eh noch an der Bar herumhängt, bleibt Zeit, sich ein paar andere Blöcke anzusehen. Schlechte Plätze scheint es in diesem Haus tatsächlich nicht zu geben. Von überall hat man mindestens gute, meist aber sehr gute Sicht auf die Bühne. Auch die Sitzmöbel erweisen sich als sehr bequem.

Nicht allein auf der Bühne

Ursprünglich war in den ersten Ankündigungen von Father John Misty Solo (am Piano) die Rede. Warum nicht, passt ja in die Halle. Vor kurzem tauchte auf seiner Webseite dann der Hinweis „mit dem Orchester der Neuen Frankfurter Philharmonie“  auf. Warum nicht, passt ja in die Halle. Schöner Nebeneffekt: Es sollte das einzige Konzert in dieser Kombination sein. Also  ein besonderes Konzert in einer besonderen Halle. Perfekt.

Beim Betreten der Halle fallen ein Drumset, diverse Keyboards und einige Ständern mit elektrischen Gitarren auf: Jackpot! Offenbar wird es doch ein Abend mit elektrischer Band plus Orchester. Was will man mehr? Der Abend konnte losgehen. Wenige Minuten vor Acht  betraten dann auch die Orchester-Musiker aus Frankfurt den Saal und spielten sich ein. Kurz danach erlosch die Saalbeleuchtung und Father John Misty betrat die Bühne.

Dafür nicht gemacht – Soundbrei in der Elbphilharmonie

Erzählt man von einem Konzert in der Elbphilharmonie kommt meist sofort die Frage „Und, wie war die Akustik? Bestimmt überwältigend, oder?“ Hier muss man ganz klar antworten: „In diesem Fall leider nicht!“  Die Kombination von verstärktem Gesang, elektrischen Gitarren, Drums und unverstärktem Orchester stand definitiv nicht an vorderer Stelle im Lastenheft von Yasuhisa Toyota, dem Klang-Architekten der Elbphilharmonie.  Gerade wenn die Band spielte, war das Orchester praktisch nicht zu hören. Nur bei Songs, bei denen nur aus Gesang, Piano (oder Akustikgitarre) und Orchester zum Einsatz kommen, flammen kurz die klanglichen Qualitäten des Kakaobunkers auf. So auch bei dem Song The Palace, den Joshua Tillman mit dem Rücken zum (Primär-) Publikum singt, um den Gästen, die „hinter“ der Bühne sitzen, auch ein wenig Aufmerksamkeit zu schenken.

Spielt die Band elektrisch, klingt der Sound ausgedünnt. Ein fetter Bass scheint in dem Gebäude nicht möglich zu sein. Kraftwerk sollten hier nicht auftreten, obwohl die Architektur geradezu danach schreit.  Kommen die Bläser hinzu, säuft der Sound vollends ab.

Dafür hört man zwischen den Songs (nach dem jeweils tosenden Applaus), Kleinigkeiten wie die Schritte der Roadie (ist das die korrekte weibliche Form von Roadie?) von Father John Misty, die eine neue Gitarre bringt, oder das Einzählen des Drummers in perfekter Klarheit.

In einigen Berichten zum Konzert wurde der Sound auch stark kritisiert. Die Akustik der Halle ist auch unter Klassikfreunden stark in der Diskussion.

Fehlender Erleuchtung

Eine mittlere Katastrophe war insbesondere in der ersten Konzerthälfte  auch das Licht. Die Licht-Crew wusste offensichtlich überhaupt nicht, wie sie mit der ungewohnten Bühnensituation umgehen sollte.  Ziellos und zaghaft wurde etwas herumgeleuchtet. Der Oberkörper der Hauptperson versank in den meisten Konzertphasen in dezenter Dunkelheit. Kam mal ein Solo, erwischte die Lichtcrew treffsicher das falsche Bandmitglied. Das Orchester schaffte man anfangs gar nicht in Szene zu setzen. Vermutlich hörte die Lichtcrew es einfach nicht.

Erwarte nix, dann wirst Du auch nicht enttäuscht

Das Publikum spendete wie erwähnt zwischen den Songs tosenden Applaus. Trotzdem sah man besonders in der ersten Hälfte aus den Augenwinkeln immer wieder ältere Paare und Gruppen den Konzertsaal verlassen. Offenbar Hamburger mit Dauerkarten oder Leute, die „einfach nur Karten für die Elbphilharmonie haben wollten, egal wer spielt“. Auffällig auch im Vorfeld, der ausufernde Kartenhandel auf der Facebookseite des Veranstalters. Irgendwie ging es einem Teil der Kartenkäufer wohl primär nicht um Father John Misty sondern um die Spielstätte.

Bei meinem ersten Father John Misty Konzert hatte ich keine besonderen Erwartungen. Mit Hangout in the Gallows und Mr. Tillman hatte er bereits nach drei Songs meine beiden Wunschsongs des Abends abgehakt.  Den Rest des Abends konnte ich als Konzertneuling quasi unbeschwert genießen. Ein schöner Abschluss bildete die Zugabe “Leaving LA“, die hier ihre Tour-Premiere hatte. Father John Misty allein mit Akustikgitarre und Orchester.  So macht es hier im Haus Sinn, der Sound war jetzt gut, sogar der Lichtspot traf Mr. Tillman. Für mich war es ein tolles Konzert.

Anders ging es den beiden Konzertbesuchern später auf der Treppe hinter mir. „Ich hatte so hohe Erwartungen in den Abend gesetzt, und dann das…Das war gar nix!“, notierte ich als Chronist und dachte mir: „Erwarte nix, dann wirst Du auch nicht enttäuscht.

Wie in unserem letzten Bericht bereits erwähnt, haben Tourauftakte oder Sonderkonzerte einerseits ihren Reiz, andererseits bergen sie Risiken. So definitiv auch heute. Die Zusammenarbeit mit dem Orchester erzeugte sicherlich eine gewisse Anspannung bei allen Beteiligten. Arbeit streng nach Vorschrift und Fahrplan, wenig Raum für Freiheiten ist dann das Resultat. Die mit der Halle überforderte Sound und Lichtcrew trug sicherlich ebenfalls nicht zum „perfekten Konzerterlebnis bei“.  Mit übersteigerten Erwartungen kommt es dann schnell zu einer Enttäuschung. Mir wäre es bei einem David Gilmour-Solokonzert hier sicher ähnlich ergangen.  Zum Glück erfüllten sich damals in Pompeji unsere Erwartungen. Wer ohne konkrete  Vorstellungen in den Abend gegangen ist wie ich, konnte ihn genießen.

Nach dem Ende des Konzerts erweist sich die Elphi dann wieder als perfekter Konzerttempel. Die Besucher strömen ungehindert, ohne irgendwelche  Stauungen oder Irritationen (Muss ich jetzt links oder rechts rum?) zurück in die laue Augustnacht.  Perfekter Abgang.

Update Juni 2020:

Inzwischen gibt es ein Livealbum des Konzerts bei bandcamp.com zu erwerben. Bezeichnenderweise ist es  Off-Key in Hamburg betitelt. Das Album ist nur digital erhältlich. Alle Erlöse  gehen an den MusiCares COVID-19 Relief Fund.



Setlist:

  1. Hangout at the Gallows
  2. Hollywood Forever Cemetery Sings
  3. Mr. Tillman
  4. Disappointing Diamonds Are the Rarest of Them All
  5. The Night Josh Tillman Came to Our Apt.
  6. Strange Encounter
  7. Total Entertainment Forever
  8. Things It Would Have Been Helpful to Know Before the Revolution
  9. Ballad of the Dying Man
  10. A Bigger Paper Bag
  11. I Went to the Store One Day
  12. Nancy From Now On
  13. Chateau Lobby #4 (in C for Two Virgins)
  14. Please Don’t Die
  15. The Palace
  16. God’s Favorite Customer
  17. Pure Comedy
  18. Holy Shit
  19. I Love You, Honeybear
  20. Leaving LA