The National BerlinDas nasse Laub pappt auf den Gehwegen, die Musik wird (noch) melancholischer: Der Herbst ist da und The National schau‘n in Berlin vorbei. Wiederkehrend wie die Jahreszeiten ist die ewig gleiche Erzählung der Geschichte der prototypischen Popband: Vom dranghaften Geschrammel in der Garage zum Geheimtipp und Debut. Zur Entdeckung, zum Durchbruch, zum Meisterwerk. Zum nicht mehr ganz so tollen aber immer noch ziemlich tollen Nachfolgewerk. Trennung. Solowerk. Reunion. Zum Spätwerk. Zur Wiederenddeckung. Wenn‘s gut läuft.
Mich holten The National vor drei Jahren mit „High Violet“ ab, das wohl in der Kategorie Meisterwerk einzuordnen ist. Inzwischen ist ob der größeren Veranstaltungsorte der Ankauf von 40 laufenden Metern Mikrofonkabel notwendig geworden.

The National gaben in der Max-Schmeling-Halle im kühlen LED-Licht ein routiniertes, herbstliches Konzert. Die Tonqualität ließ leider den ganzen Abend über zu wünschen übrig und hat mir die Petersilie etwas verhagelt. Am Anfang zu laut und ungeheuer matschig hinterher etwas klarer aber dafür schmerzhaft blechern. Schade. Die Videoprojektionen fand ich etwas halbgar, alles das hat man schon gesehen: Auge, Rorschach, Live-Bild der Band verfremdet, zerbrechende Scherben, Verpixeltes.

Die Band erscheint wie immer adrett gekleidet und legt unprätentios los. Die Songs werden knackig, ohne große Ansagen vorgetragen, zunächst viele aus dem neuen Album „Trouble Will Find Me“. Irgendwie dauert es bei diesem Konzert länger, bis bei mir der Funke überspringt, genauer gesagt ist das im Refrain von „Afraid of Everyone“ (wenn er dort nicht überspringt, wann denn dann auch!). Die Songs von „The Boxer“ und „High Violet“ sind die Ecksteine der Setlist und bereits moderne Klassiker. Ein weiterer Höhepunkt: „Squalor Victoria“ bei dem Matt Behringer wie ein betrunkener Großonkel, der mit wüsten Schimpftiraden gegen die Exfrau ein Familienfest restlos ruiniert über die Bühne holzt, torkelt, spukt, Weinflaschen umherwirft. Großartig! Dazu ein rumpelnder und unwiderstehlicher Drumbeat, der Sound der Band maßgeblich prägt und trägt.

Die Gitarren klingen mit viel Hall ganz schön nach U2 und Coldplay. Ob das noch lange gut geht? Zwischendurch immer wieder lärmige Ausflüge, zumeist mittels Alligator-Material. Ein weiter Höhepunkt ist das nach eigener Aussage selten gespielte „Lucky You“. Im aktueller Song „I Need My Girl“ wird eine Gitarre, Hals voran, auf den Bühnenboden gedonnert, um eben einen elektrischen Donnerbeat einzupflegen. Nette Idee. Das auf der aktuellen Platte etwas zu U2-mässig geratene „Graceless“ wird durch eine lautes Outro mit etwas Schreierei und Gitarrenlärm aufgedonnert.

So richtig warm ums Herz wirds nochmal zu „Mr. November“, als Sänger mit besagten 40 Kabelmetern im Schlepptau allein durch Publikum pflügt und beim stilbildenden „Terrible Love“, mit seinen mitreissenden Beats, Brüchen und dem ergreifenden Baritongesang von Behringer. Der geht am Schluss in die Knie hält im lärmigen Outro auch noch den Kopf direkt vor den Gitarrenverstärker – Ihm dürften also nächsten Tag auch die Ohren geklingelt haben.
Als letzte Zugabe fügen The National an neuen Klassiker an: „Pink Rabbits“ ist ein ruhige Ballade, die im letzten Viertel herzzerreissend ins Dur kippt – das herausragende Stück auf „Trouble Will Find Me“. Dieser Song wird zum Glück ganz zart vorgetragen und versöhnt uns mit einem guten aber nicht (wie beim letzten Besuch) durchweg berauschenden Konzert.

Gespielt und gesungen wurden diese Lieder:

I Should Live in Salt
Don’t Swallow the Cap
Secret Meeting
Bloodbuzz Ohio
Demons
Sea of Love
Slipped
Afraid of Everyone
Conversation 16
Squalor Victoria
I Need My Girl
This Is the Last Time
Lucky You
Abel
Slow Show
Sorrow
England
Graceless
Fake Empire

Zugaben:

Humiliation
Mr. November
Terrible Love
Pink Rabbits

Fotos: Earlybird

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