Fünf tolle Konzerte:

Robert Plant & Alison Krauss, Zitadelle Spandau, bei Berlin

37 Grad in Berlin. Migränewetter. Vor 14 Jahren hatte ich das Konzert zur Jahrhundertplatte “Raising Sand” aufgrund einer unauflösbaren Terminkollision (*) ziehen lassen müssen. Auch dieses Mal alles nicht ganz einfach – Urlaub vom Urlaub war das Motto des Abends für mich.

Die Zitadelle ist rappelvoll, erster Eindruck: Überraschend viel junges (ok: mittelaltes) Volk in der Burg. Kein krasser Überhang an “USA Tour ’77”-Shirts von H&M. Ich hatte den Eindruck, dass Robert Plant es mit dieser Premium-Kollaboration erfolgreich schafft, dem übergroßen Schatten des Luftschiffes zu enteilen und eine heterogenes Publikum erreicht. (Ein Dame in der Reihe vor mir googelt während des Konzertes tatsächlich “led zepplin [sic] singer” – Treffer!)

Mit einem Augenzwinkern und einem Lippenschürzer hat Plant das Publikum wie gewohnt sofort auf seiner Seite. Mikroständer werden heute aber nicht herumgeschleudert. Der erste große Gänsehaut-Moment aber dann, als Frau Krauss das Mikro übernimmt.

Die neue Platte ist auch prima, los geht’s es auch gleich mit einem Cover von Calixicos düster schiebender Großtat “Quattro”. Viele Highlights folgen, eine super Band schaukelt zurückhaltend, aber wo es Not tut druckvoll die Stücke nach Hause. Die Hits zweifellos “Can’t let Go” und “Gone, Gone, Gone”. Zwischendurch etwas Unruhe, weil die Security versucht, bei einem Open Air mit 8.000 Zuschauern ein Filmverbot durchsetzen. Aussichtslos.

Zum Ende grüßt dann wieder Graf Zeppelin: “When The Levee Breaks” in einer mystischen Sumpf-Blues Version mit einem Gitarrenpart, der sich aus den Untiefen des Mississippi an die Oberfläche zu wälzen scheint. Epischer wird’s nicht. Plant: “Es ist eine esoterisch-existenzialistische Erfahrung…” – Ja, so ist das.

(*) Die Ehe hält bislang.

Herman Dune, Berta, Berlin

Der schwedisch-französischer Singer-Songwriter mit Wohnsitz in Kalifornien hat sein 90/00er-Jahre-Indie-Werk in reduzierten Arrangements – “portable” – neu aufgenommen, ist nach Europa gekommen und schlufft auf die gemütlich-schummrige Bühne des schönen neuen Clubs ‘Berta’. Ein beseeltes, intimes Konzert mit einfachsten Mitteln und tollsten Songs – Tell Me, Tell Me Something I don’t know. Das Publikum strahlt über seine Gesichter.

King Hannah, Badehaus, Berlin

Super EP, super Debut-LP. Live auch super! Die nasengepiercte Unnahbare und der bewollmützte Pedal-Nerd spielen ein mitreißendes Konzert bei dem sich aus einfachen Folksongs mächtige Crazy-Horse-Epen mit melodiösen Gitarren-Soli entwickeln. Prognose: 2023 dann wohl schon im Lido.

Onkel Bob, Verti-Music-Hall, Berlin

Schrill: Dylan spielt ALLES vom neuen Album (OK – mit Ausnahme des 20-Minuten-Stücks), streut “Hits” aus den 80ern ein (“Gotta Serve Somebody”? “Every Grain of Sand”?!), lugt viermal wacklig hinter’m Klavier vor und es ist einfach toll.

Nick Mason’s Saucerful of Secrets, Halle Münsterland, ebendort

Die besten Idee im Floyd-Kosmos seit 1999 (Als Roger Waters wieder auf Tour ging). Auch dieses Jahr wieder top, die Version von ‘Echoes’: amtlich. Wünsche für 2024: Cymbaline, Careful & The Embryo.

Fünf tolle Platten:

Alison Sudol – “Still come the Night”

The Artist formely known as A Fine Frenzy zurück mit einer zarten und verträumten Platte, zurückhaltend instrumentiert und wunderbar gesungen. Hier und da zieht der Groove auch mal etwas an. Toll.

Damien Jurado – “Reggae Film Star”

Faste jedes Jahr eine neue Platte. Viele gute, schlechte gibt es eher nicht. Diese ist aber wieder ein Meisterwerk. Etwas breiter instrumentiert als zuletzt, es entsteht ein unheimlicher Sog zwischen den Liedern, die Filme sein könnten, vom Filme-Machen erzählen, oder in den Film-Figuren mit ihren Darstellern sprechen und umgekehrt. Herrlich.

Fai Baba – “Veränderet”

Extrem grooviger Folk auf Schwizerdütsch. Brilliant! Die Gitarre! Ich wär so gern ein Kioskverkäufer….

Christin Nichols – “I’m Fine”

Super-Platte mit Hits wie “Bielefeld” oder “Sieben Euro Vier”. Indie-Single des Jahres ist aber die Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer-Hymne “Citalopram”:

Neil Young & Crazy Horse – “Toast”

20. Juni 2001 – Neil Young & Crazy Horse spielen ein markerschütternd schönes Konzert in der Waldbühne. Unter den vielen Klassikern damals vier neue Lieder, die toll swingen und scheppern und von einer sensationellen, künftigen Crazy Horse-Platte künden. Stattdessen erscheint das Mittelmaß-Album “Are You Passionate?”.

Und Zack: Kaum 21 Jahre später erscheint “Toast” endlich in voller Pracht, klingt prächtig und erhebend. Und dazu mit einem tollen Cover.

 

Sigge-Rocktours wünscht allen Besuchern und Lesern schöne Feiertage und einen guten Rutsch!