kraftwerk amsterdam paradiso

Nun ist er da, der neue Kraftwerk 3-D-Katalog und übertrifft alle Erwartungen, leider auch die schlimmsten. Kraftwerk haben ihre 3-D-Katalogtour  ausführlich dokumentiert. Neben einer Best-Of-Variante für den kleinen Geldbeutel, gibt es auch eine Deluxe-Box, die auf vier BluRays alle Katalog-Konzerte visuell dokumentiert. So wünscht es sich der Fan – theoretisch.

In den letzten Jahren hat das Sigge-Rocktours-Team die 3-D-Kraftwerk Show an den verschiedensten Orten gesehen: Düsseldorf, Berlin, Wolfsburg, Amsterdam, Uetrecht, Essen, Leipzig, Poznan und Wien. Jedes Konzert hatte durch die mit Sorgfalt ausgewählte Location ein besonderes Feeling. Wir arbeiteten uns durch den kompletten Katalog der Band (lässt man einmal das Best-of-Album The Mix außen vor), besuchten dafür in Wien sogar vier Kraftwerkkonzerte innerhalb von 30 Stunden.

Dabei erkannten wir immer öfter die Menschlichkeit der Mensch Maschine. Kleine Fehler, Reaktionen auf Applaus, glückliche Musiker statt Roboter.

Auf der neuen Katalogaufnahme ist davon nichts zu sehen oder zu hören. Der 3-D-Katalog kommt klinisch steril daher. Ein Livekonzert ohne Publikum – so etwas gab es zuletzt bei Pink Floyd vor 45 Jahren in Pompeji.

Der neue 3-D-Katalog soll nach Auskunft der Plattenfirma die spektakulären Multi-Media 3-D-Auftritte der Elektronik-Pioniere Kraftwerk in den führenden Kunstmuseen der Welt (Museum of Modern Art New York, Tate Modern London, Neue National Galerie Berlin und vielen anderen) aus den Jahren 2012 bis 2016 [dokumentieren].

3D Katalog Kraftwerk

Vorgewarnt von der Minimum-Maximum Live-DVD war die Erwartungshaltung schon etwas gedämpft. Wir erwarteten (zum Glück) keinen hektischen Hamish Hamilton Konzertfilm, wie ihn uns beispielsweise U2 des Öftern schon zugemutet haben. Auf fixe Kamerapositionen, Projektionsgrafiken im Vollformat und nicht unbedingt CloseUps von über Knöpfe, Touchscreens und Klaviaturen huschenden Fingern waren wir vorbereitet.

Dass wir nach langem Warten nun einen Film bekommen, bei dem man 70-80% der Zeit nur die Projektionsgrafiken im Vollformat sehen, die Musiker nur von Ferne und das Publikum fast gar nicht zu Gesicht bekommen, haut einen dann doch etwas vom Hocker. Auf der Minimum-Maximum –DVD sah man wenigsten hin und wieder eine Hand zum Trackball greifen. Mit dem aktuellen Katalog-Film hat man sich noch ein paar Potenzen mehr vom üblichen Konzertfilm entfernt.

Zu hören ist das Publikum übrigens weder auf der Filmaufnahme, noch in den beiden begleitenden neuen Audio-Versionen des Katalogs (einmal in deutscher und einmal in internationaler Version).

Während die Schaufensterpuppen auf der Leinwand tanzen, kann man teilweise schemenhaft Publikum erkennen, phasenweise stammen die Aufnahmen eindeutig aus einer leeren Halle. Hier wurde das Publikum komplett entfernt. Bisher habe ich genau vier feststehende Kameraperspektiven gezählt. Bewegte Kamerafahrten gibt es gar nicht, was prinzipiell auch nicht weiter schlimm ist.

Kraftwerk haben bei ihrer Tour immer Wert auf die Auswahl des Auftrittsortes gelegt. Meist waren es Museen oder Orte mit besonderer architektonischer oder musikalischer Bedeutung, die die Konzerte nochmals zu einem besonderen Erlebnis werden ließen. Leider lässt sich kaum erahnen, von welchen Orten die wenigen Live-Aufnahmen stammen. Jeglicher Ansatz, den Zauber eines bestimmten Venues mit einzufangen, wird im Ansatz mit unterdrückt.

Auch das Ufo am Ende von Spacelab muss im neutralen Grau landen. Bloß keine Identifikation mit einem bestimmten Konzertort schaffen. Lediglich im beiliegenden Bildband, sind dann doch einige scheinbar besondere Konzertorte dokumentiert, wie z.B. die Neue Nationalgalerie in Berlin, die Lichtburg in Essen oder das Burgtheater in Wien.

Ein Hohn, dass die Datenträger 3+4 der Box beiliegen. Hier sind ausschließlich die Konzertfilme von der Projektionsleinwand zu sehen, sprich 80% des Materials, dass wir schon von Datenträge 1+2 kennen. Beim 7. Album The Mix erfolgt übrigens nur eine Wiederholung der bereits vorher abgespielten Songs in anderer Reihenfolge.

Die komplette Entmenschlichung der Mensch Maschine findet am Ende von Music Non Stop statt. Hier verlassen während eines Konzertes traditionell die Musiker (und Videotechniker) Zug um Zug nach einem Solo die Bühne.  Hier erahnt der Live-Zuschauer, welchen Anteil am Sound von welchem der Protagonisten auf der Bühne stammt. Diese Sequenz zählt – obwohl sie das Ende eines Konzertes ankündigt – mit den beliebtesten des Autors dieser Zeilen. Auch hier müssen wir in Erinnerungen schwelgen. Der BluRay-Player liefert auch wieder nur die Bilder der Bildschirmprojektionen. Keine Spur vom Abgang der Roboter.

Ist der neue 3-D Katalog demnach eine einzige Enttäuschung? Nein, der grandiose 5.1 Dolby Atmos-Sound entschädigt hier für viele (aber nicht alle!) Enttäuschungen. 3-D ist bei Kraftwerk auch der Sound, der hier auch perfekt umgesetzt wird. Vermutlich ist das auch der Grund, warum der optische Gehalt des 3-D-Katalogs so wenig begeisternd ist: Am besten genießt man das Werk mit geschlossenen Augen, auf dem Sofa, umrundet von einer guten 5.1 Anlage.

Wer die entsprechende BluRay- und TV-Technik besitzt, kann sich mit 3-D-Brille auf der Nase natürlich auch von den 3-D Grafiken beeindrucken und vom Spacelab aufspießen lassen. Kleines Update 01/2018: Inzwischen gab es den Grammy für das beste Elektro Album.

Für den begeisterten Konzertgänger bleibt  also nur, weiter an Live-Erlebnissen teil zu nehmen. Werden wir tun, am 1. Juli, zum Start der Tour de France in Düsseldorf, denn: es muss immer weiter gehen, Musik als Träger von Ideen.

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