Arne, Henning & Tom on Tour - Konzerttagebuch

Ein Kommentar zum Thema Roger Waters

Von scheinheiligen Politikern, schlechtem Journalismus und einem alten Sturkopf

Message von Roger Waters vor dem Konzert in Köln
Message von Roger Waters vor dem Konzert in Köln

Cancel Culture oder Trennung von Werk und Künstler?

Als Fan von Roger Waters hat man es nicht leicht aktuell. Er sei ein Antisemit, weil BDS-Befürworter, seine Konzerte gehören verboten, heißt es seitens der Lokalpolitik, vor den Konzerten sind Demonstrationen angesagt. Dazu komische Äußerungen zu Putin und der Ukraine, die dann David Gilmours Frau dazu veranlasst auf Twitter kindisch gegen den alten Rivalen zu keifen. Und dann noch der Waters-Keyboarder, der früher mit Gilmour und Pink Floyd spielte, irgendwas aus dem Gilmour-Lager aber zwischenzeitlich nicht verkraftet hat und sich seither auf Facebook um Kopf und Kragen bzw. seine Würde schreibt. Man muss sich zeitweise schämen für seine Helden. Darf man da noch Konzertkarten kaufen?

Zum Glück sind wir da nicht allein. Olli und Jan hadern mit Morrissey, Eric Clapton wurde zum Corona-Leugner, die Liste ließe sich lange fortsetzen, bis hin zur Frage, ob man noch über alte Woody Allen Filme lachen darf. Die Cancel Culture greift teilweise rabiat um sich, misst manchmal mit heutigen Maßstäben das Verhalten von Menschen in den 70ern. Sind gute Songs von damals heute plötzlich schlecht, weil der inzwischen gealterte Schöpfer heute etwas Dummes sagt, oder sich damals anders verhalten hat, als man es heute tun würde?

Reicht es, sich seine eigene Meinung zu bilden, to agree to disagree und das Werk zu genießen?

Ist man ein besserer Mensch, weil man nicht zu einem Konzert geht? Wo liegt das Problem bei Waters? Nur um meine Position deutlich zu machen: Das BDS Movement (siehe unten) ist definitiv fragwürdig. Im Gaza-Konflikt bekleckert sich keine der beiden Seiten mit Ruhm, alle haben ihren Anteil an der Schuld für den derzeitigen Zustand. Waters Haltung zum Ukraine-Krieg ist zweifelsohne schwachsinnig. Er folgt hier einer Mär der linken Community zu angeblich gebrochenen Versprechen zur Osterweiterung der NATO, die sich bei genauer Betrachtung allerdings auch nur als beiläufige Aussagen in einem völlig anderen Kontext entpuppen.

Ich habe mich für den Kauf zweier Waters-Karten entschieden, bei Eric Clapton habe ich auf den Kauf verzichtet. Möglicherweise auch nur eine intern vorgeschobene Begründung, um mich nicht mit den Ticketpreisen auseinander setzen zu müssen. Das Gericht in Frankfurt hat entschieden, dass Waters auftreten darf. Gut so! Waters dichtete das Urteil gleich etwas um. Das Gericht, das bemerkte, dass man seine Show streckenweise als „geschmacklos“ empfinden kann, habe festgestellt, „dass er kein Antisemit sei.“ Steht so nicht in der Pressemitteilung des Gerichts, aber die Verantwortlichen in Frankfurt müssen nun damit leben, ihn zum Sieger gemacht zu haben.

Message von Roger Waters vor dem Konzert in Köln
Message von Roger Waters vor dem Konzert in Köln

Insbesondere, wenn man die Diskussion hier in Deutschland um die Konzertabsagen betrachtet, muss man den Kartenkauf auch als Statement gegen scheinheilige Politiker und schlechten Journalismus sehen.

Deutschland und die BDS-Bewegung

Die BDS Bewegung ist in intellektuellen, linken Kreisen in England durchaus en Vogue. Neben Waters unterstützen auch Ken Loach (ein bekannter linker Filmregisseur, der hier von den Gewerkschaften verehrt wird), Peter Gabriel oder Brian Eno die Bewegung.

Wir in Deutschland haben da zu recht eine ganz andere Einstellung. Schließlich verantworten unsere Vorfahren den Holocaust. Eine Trennung von Kritik an der Politik des Staates Israels bis hin zum Antisemitismus ist da eine heikle Sache, da ggf. berechtigte Kritik schnell auch als Vorwand für das Ausleben von Antisemitismus gesehen werden kann. Als Deutscher hält man sich also besser zurück. Auch heutzutage noch. Dazu kommt, dass wir Deutschen nicht die besten Erfahrungen mit Palästinensern gemacht haben:

Das ist der Hintergrund, vor dem meine Generation aufgewachsen ist. Sicherlich eine völlig andere Ausgangsposition als die der meisten (älteren) Engländer, die so gar nicht nachvollziehen können, warum das BDS-Movement hier so abgelehnt wird. Moral hat wissenschaftlich erwiesen auch generationsbedingte Einflüsse. Akzeptieren wir diese unterschiedliche Ausgangsposition doch einfach.

Ich halte Roger Waters nicht für einen Antisemiten, aber definitiv für einen Sturkopf. Sein Werk richtet sich im Kern gegen Hass, Ausgrenzung und Diskriminierung. Wer Mauern baut, zählt nicht zu seinen Freunden.

Als kluger Mensch sollte er wissen, dass Kampagnen wie das BDS-Movement als perfekter Deckmantel für Antisemiten dienen und zahlreiche seiner Mitstreiter mutmaßlich antisemitische Tendenzen in sich tragen.

Auffallend ist allerdings, dass auch hierzulande Sympathie zu Palästina primär von (selbsternannten) linken Pazifisten (die Linke) kommt, die auch gerne gegen die NATO und Amerika wettern. Und da haben wir dann auch schon den Zusammenhang zwischen Waters, Sarah Wagenknecht und der angeblich gebrochenen Versprechen zur Nato-Osterweiterung. Hier macht er sich leider 1:1 russische Propagandapositionen zu eigen. Amerikanische Präsidenten bezeichnet Waters ja auch schon mal gerne pauschal als Kriegsverbrecher, sich selbst als linken Pazifisten.

Kriegsverbrecher

Schlechter Journalismus in Deutschland.

Das ganze Drama um die Waters Auftritte in Deutschland zeigt auch, in welch miserablem Zustand sich der Journalismus in Deutschland befindet. Es wird nur noch irgendwo abgeschrieben, nicht mehr hinterfragt, nicht mehr weitergedacht.

Selbst ein Micky Beisenherz entblödet sich im stern nicht, Charlotte Knobloch, der ehemaligen Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses, blind nachzuplappern und nicht einmal die Fakten zu prüfen. Charlotte Knobloch (Jahrgang 1932) hat sicher noch kein Konzert von Waters live gesehen. Dennoch behauptet sie, Waters lasse ein Schwein mit einem Davidstern über das Publikum fliegen. Einerseits faktisch richtig, andererseits bezeichnet man das Verschweigen von weitergehenden Fakten, die den Kontext verändern, landläufig auch schon als Lüge. Was sie verschweigt: Auch die Symbole der anderen großen Weltreligionen sind auf dem Schwein zu sehen – zusammen mit Währungssymbolen und Markenlogos von Shell und Mercedes. Schon sieht die ganze Sache etwas anders aus.

Eigentlich alle „angesehenen, großen“ Medien haben diesen Fehler gemacht und sich die Sache nicht genau angesehen. Hätten sie genauer hingesehen, hätten sie auch Waters „Nazi-Parodie“ während Songs wie In the Flesh oder Run like Hell bemerken, und sich intensiver mit dem Werk The Wall auseinandersetzen müssen, hinterfragen, in welchen (dunklen) Phasen Pink zu dieser Person wird, die im Ledermantel über die Bühne läuft. Das wäre dann wohl doch zu viel Aufwand gewesen.

Die Stadt Frankfurt versuchte sogar, das Konzert in der Festhalle nachträglich zu verhindern und kündigte den Vertrag mit der Veranstaltungsfirma von Waters. Vor Gericht scheiterten sie damit in allen Punkten. Viel wurde vom Auftrittsverbot in Frankfurt geschrieben, doch das gab es nie. Es ging lediglich um die Kündigung des Mietvertrags für die Festhalle Frankfurt, deren Gesellschafter die Stadt und das Land sind. In einer privaten Arena hätte Waters problemlos spielen können. Der Geschäftsführer der Betreiber-GmbH befand sich übrigens auch in einer lustigen Zwickmühle. Seine Gesellschafter schreiben ihm vor, was er tun soll, er selbst ist aber dem Wohl der Gesellschaft verpflichtet. Mit der Kündigung hätte eine millionenschwere Schadenersatzklage im Raum gestanden, die er auf jeden Fall hätte verhindern müssen.

Es hat auch niemand nachgeforscht, was da in München und Frankfurt schief gelaufen ist. Der Münchner Bürgermeister wetterte schon nach Waters letzter Tour, dass Waters nie wieder in der Olympiahalle von München (siehe oben) auftreten solle. Da fragt man sich doch: Gab es damals keine Dienstanweisung? Wer hat es verbockt? Welcher Trottel hat in Frankfurt den Vertrag unterschrieben, den man dann plötzlich aus wichtigem Grund kündigen wollte? Gab es da personelle Konsequenzen? Wer hätte eventuell berechtigte Schadenersatzforderungen in zweistelliger Millionenhöhe zu verantworten? Alles ungenutzte Ansätze für gute Geschichten.

Scheinheilige Politiker

Da sind wir auch schon beim nächsten Thema: Die scheinheilige Politik, die schnell mal „was gegen Antisemitismus“ machen will und zu den „Guten“ gehören möchte. Schimpfen wir doch einfach auf den alten, irren Briten.

Alle Experten hielten die Kündigung für nicht durchsetzbar. Keiner der Vorwürfe war belegbar, die wichtigen Gründe können keine gewesen sein, die nicht schon bei Vertragsabschluss bekannt waren. Die Kunst-, Rede- und Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut in Deutschland. Meines Wissens nach, ließ die Stadt auch eine Frist zur Reaktion auf Waters Klage gegen die Kündigung einfach verstreichen. Man hat sich nicht wirklich gewehrt. Vermutlich hat auch nur pro forma geklagt, damit die Politik Ruhe gibt. Das Konzert wurde auch nach der Kündig nicht von der Webseite der Festhalle entfernt. Man ahnte wohl schon, dass das Ganze nur eine Luftnummer ist.

Wer zweideutig mit Symbolen umgeht, als Rechts gilt, obwohl er von sich selbst behauptet es nicht zu sein, darf also nicht in der Festhalle spielen. Ok. Wenn das der Wille der Frankfurter Regierung ist, muss man sich fragen, warum kurz vor bzw. nach Roger Waters Frei.Wild und Andreas Gabalier in der Festhalle auftreten dürfen. Letzterer stellt auf einem seiner Alben-Cover ein Hakenkreuz nach und muss sich auch vom Spiegel fragen lassen wie rechts er sei. Aber beim netten Österreicher schunkelt der Bürgermeister mit Frau dank Freikarten sicher gerne mit, schließlich werden bei Festzeltmusik traditionell Wählerstimmen gewonnen – nur so eine gehässige Vermutung.

Update 12. November 2023

Ein paar Monate später: der Tourtross von Roger Waters nach Südamerika weitergezogen. Die Konzerte hier in Deutschland haben mit überschaubaren Protesten stattgefunden, in Frankfurt verzichtetet Roger auf seinen Ledermantel. Bei den Bühnenshows in Südamerika lässt er sich nun in einer Zwangsjacke im Rollstuhl über die Bühne schieben, auf dem Schwein steht “Don’t trust him, he’s mad“.

Die Situation in Nahost ist zwischenzeitlich an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Nachdem die Hamas am 7. Oktober nicht nur Israel mit Raketen angegriffen, sondern auch bei Überfällen 1.400 Israelis, darunter zahlreiche Frauen und Kinder getötet hat, blieb die Gegenreaktion von Israel mit Angriffen auf den Gaza Streifen nicht aus. In Deutschen Innenstädten gibt es sowohl pro-Israel als auf pro-Palästina Demonstrationen.

Leider hat sich auch Roger Waters inzwischen mehrfach geäußert. In einem Videostatement auf seinem Instagram Kanal vom 13. Oktoberforderte er u. a., dass es als Lösung “EINEN gemeinsamen Staat” geben müsse.

Damit stellt er meines Erachtens das Existenzrecht Israels in Frage, und überschreitet somit auch formal die Grenze zum Antisemitismus.

In einem Interview mit dem US-Journalisten Glenn Greenwald in der Sendung “System Update” zweifelt Waters an, ob es diese Angriffe der Hamas (in dem Ausmaß) wirklich gegeben habe, er bringt False-Flag Aktionen ins Spiel und bezieht sich dabei auf fragwürdige Quellen wie “The Greyzone”.

Alles sehr schwer zu ertragen für eine jahrzehntelangen Fan, der ihn noch vor wenigen Monaten verteidigt hat. Nun ist auch für mich vorerst der Punkt gekommen, an dem ich keine Konzerttickets mehr kaufen würde. Ich bin tief enttäuscht.

1 Kommentar

  1. Christian Kienbaum

    Lieber Arne-Christian,

    Du sprichst mir aus dem Herzen. Ja, man kann Roger Waters auch als “stur” bezeichnen. Ich würde ihn eher als “beharrlich” bezeichnen. Der Mann beweist seit Jahrzehnten Rückgrat gegen alle Widerstände und klagt in seinem Gesamtwerk unbequeme Missstände an. Da es den Menschen ohnehin schwerfällt, selbstkritisch in den Spiegel zu schauen, prügelt man halt auf den “Überbringer der schlechten Nachricht” ein. Das ist halt bequemer.

    Natürlich sind die Antisemitismus-Vorwürfe inhaltlicher Bullshit, denn das gesamte Werk von Roger Waters predigt genau das Gegenteil (ganz abgesehen davon, dass Waters selbst x-fach über Jahrzehnte öffentlich Antisemitismus verurteilt hat): Menschenwürde, Gleichberechtigung, Frieden… Und Du hast es sehr schön geschrieben: Derjenige, der Mauern errichtet, macht sich Waters nicht zum Freund…

    Was wirklich nachdenklich stimmt, und das hast Du zurecht deutlich gemacht, ist der Zustand des (un-)kritischen Journalismus’. Und wenn ich bedenke, das wohlmöglich genauso schlampig in den anderen Nachrichtensegmenten gearbeitet wird, denen wir so gern Glauben schenken, wird mir ganz anders… Aber da wären wir u.a. wieder bei “Animals” angelangt…

    Ich finde, Roger Waters ist mit seinen Liedern einer der bedeutendsten Künstler der Gegenwart. Und seine zeitlosen Songs werden noch in Jahrzehnten gespielt und geliebt werden (sofern wir nicht in “Four Minutes” “Two suns in the sunset” erleben)!!!

    Christian Kienbaum

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