Das mehrfach verschobene Kraftwerk-Konzert in Bonn schaffte es in meinem letzten Jahresrückblick auf den ersten Platz der Konzerterlebnisse 2022. Danach kann es ja nur bergab gehen, dachte ich, als Kraftwerk ein einziges Konzert in Deutschland 2023 in Karlsruhe ankündigten. Die Entfernung passte mir auch nicht, der Rest des SRT-Teams war auch abgeneigt, also verzichtete ich erstmal auf den Kauf von Tickets, die dann auch schnell ausverkauft waren.

Bei genauerer Betrachtung einige Zeit später schien das Konzert doch wieder interessant zu werden. Langsam sickerten Details durch: Die Band soll auf dem Balkon des Schlosses spielen und die rund 170 Meter breite Schlossfassade sollte als gigantische Leinwand dienen. Kraftwerk spielten zum Auftakt der Schlosslichtspiele. Als dann auch noch der SRT-Nachwuchs Interesse an einem Kraftwerk-Konzert bekundete, wurden doch noch Karten organisiert. Es sollte sich lohnen.

Das Konzert von Nick Mason’s Saucerful of Secrets auf der Loreley erlebte ich noch bei bestem Wetter. Danach war Dauerregen im deutschen Sommer angesagt. Für den Konzerttermin sollten in Karlsruhe laut Vorhersage hochsommerliche Temperaturen herrschen. Stattdessen empfing uns strömender Regen bei unserer Ankunft am frühen Nachmittag. Zum Glück verzog sich dieser schnell und der Abend sollte dann auch – abgesehen von einem leichten, fünfminütigen Landregen während der Mensch Maschine –  trocken bleiben bei angenehmen Temperaturen.

Im Scheinwerferlicht ihr junges Lächeln strahlt

Am Einlass wurden wir von einem großen Polizeiaufgebot begrüßt. Die Einlassschlange verlief direkt neben dem Bundesverfassungsgericht. Wir ergatterten einen guten Platz, direkt vor Ralf in der dritten Reihe auf dem Vorplatz des Schlosses mit perfekter Sicht auf die vier Bedienpulte samt Bediener.

Irgendwie ergab sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Wer im Vorhof des Schlosses stand, hatte gute Sicht auf die Band und das mittlere Drittel der gigantischen Schlossleinwand. Wer weiter hinten im Schlosspark stand dürfte einen großartigen Blick auf die gesamte Schlossfassade gehabt, von der Band aber nur Ansätze gesehen haben.

Von unserer Position aus kam man sich wie in einem IMAX-Kino vor. Die V-förmige Schlossfassade reichte weiter als das Gesichtsfeld. Es war demnach nicht möglich, das komplette Multimediaspektakel im Blick zu haben. Vor dem Schloss wurde eine gewaltige Batterie an Subwoofern aufgefahren, die Absperrung für die Zuschauer war rund 25 Meter von der Schlossfassade entfernt, damit auch die ersten Reihen keine Nackenstarre beim Blick auf die Musikarbeiter bekommen. Perfekt.

Musik als Träger von Ideen

Der Sound war wie immer glasklar und mit einem drückenden Bass versehen. So muss es sein. Auch wenn die Setlist wenig Überraschungen bietet, fragt man sich nach über einem Dutzend Kraftwerk-Konzerten an vielen Stellen immer wieder: „War das beim letzten Mal auch so?“

Die Projektionen waren beeindruckend. Größtenteils gewannen Sie enorm an Bildgewalt durch die riesige Leinwand. Gerade bei Stücken wie Radioaktivität, dem Opener Numbers oder bei Trans Europa Express erschlägt einen die Bildgewalt. Bei anderen Songs, bei denen Realbilder dominieren – wie bei der Tour de France Sektion oder dem Model, wünscht man sich die herkömmliche Leinwandgröße zurück. Hier wurde das Bild oft auf die linke und rechte Seite projiziert, die Mitte blieb dunkel und die Band wurde durch den LED-Bühnensockel im Album-Uni-Farbton hervorgehoben. Der Bühnensockel wirkte hier und da etwas deplatziert, da die Band auf dem Balkon des Schlosses quasi im Mittelpunkt der Leinwand schwebte.

Die riesige Leinwand inkl. der Bandposition stellte demnach den offensichtlichsten Unterschied zum Bonner Konzert dar. Die Setlist war fast gleich, Karlsruhe kam zusätzlich noch in den Genuss von Vitamin, natürlich auch optisch gewaltig untermalt in dieser Konstellation. Von mir aus hätte man gerne auf Electric Café verzichten und es durch Aerodynamic ersetzen können.

Die aktuelle Tour führte primär durch Südeuropa und machte auf ein paar Festivals Station. Da waren die Roboter wohl Übergepäck und durften daheimbleiben. Bereits auf der Akropolis in Athen und bei ein paar anderen Gelegenheiten wurde auf eine Leinwand verzichtet und die örtliche Bebauung als Projektionsfläche genutzt. Möglicherweise war das der Grund, warum die Projektionen diesmal auf die 3D-Technik verzichteten und das Publikum auch keine Pappbrillen tragen musste, was immer ein amüsanter Anblick war. Dafür waren die Grid-Suits nun mit LED-Leuchtstreifen ausgestattet.

Auch auf der Bühne gab es ein paar Updates, die allerdings in keiner Form von der Band kommuniziert wurden. Man kennt es von der Maschine. Selbst Wikipedia listet immer noch die alte Bandbesetzung auf. Fritz Hilpert – seit über 30 Jahren auf der Bühne und im Studio mit Kraftwerk – fehlt bei dieser Tour. Seinen Platz am Pult nimmt der ehemals links von im stehende frühere Grafikoperator Falk Grieffenhagenein, der wiederum durch Georg Bongartz ersetz wurde. Man kennt sich vermutlich durch das gleiche Studium in Düsseldorf.

This city’s made of lights

Ursprünglich sollte das Konzert um 21 Uhr beginnen, der Sonnenuntergang war auf 20.48 Uhr terminiert. Bis es richtig dunkel wurde, dauert es dann noch eine Weile, und so startete das Konzert erst um kurz vor halb zehn. Das tat der Stimmung keinen Abbruch. Das Konzert war als großes Spektakel in Karlsruhe angekündigt und Karlsruhe war offenbar stolz auf die prominente Aufwertung der Schlosslichtspiele. 16.000 Zuschauer, viele Angereiste dabei, feierten Kraftwerk an diesem Abend. Die Berichterstattung schaffte es sogar in die Tagesschau. Mach dich rar, dann bist du wichtig.

Zum Schluss widmete Ralf Hütter noch die heutige Multimediaperformance seinem Künstlerfreund Peter Weibel, der als Direktor des ZKM Karlsruhe an der Konzeption dieses Konzertes beteiligt war, bevor er im Frühjahr 2023 verstarb. Da menschelte die Maschine wieder.

Setlist

Nummern / Computerwelt

It’s More Fun to Compute / Heimcomputer

Spacelab

Ätherwellen / Tango

Die Mensch-Maschine

Electric Café

Autobahn

Computer Liebe

Das Model

Neonlicht

Geigerzähler / Radioaktivität

Tour de France 1983 / Prologue / Tour de France Étape 1 / Chrono / Tour de France Étape 2

Vitamin

Trans-Europa Express / Metall auf Metall / Abzug

Die Roboter

Planet der Visionen

Boing Boom Tschak / Techno Pop / Musique Non-Stop