Dies ist keine Übung: Roger Waters ist in der Stadt und bespielt zum wiederholten mal die  uncharmante Mehrzwecke-Halle an der Warschauer Brücke, von deren Dach inzwischen ein kaum zu übersehender Mercedes-Stern prangt. Fast hat man den Eindruck, der gehöre dort als ironischer Kommentar hin, wenn Waters im Ledermantel zu seiner berühmt-berüchtigten Faschistenparodie aus dem letzten The Wall-Viertel ansetzt.

Auto-Stern und Hammer-Kreuz.

Klammert man Waters’ fragwürdige Engagements und seine verstrahlten Interviews einmal aus: Künstlerisch bietet er eine kraftvolle und gewohnt bildgewaltige Show mit einem satten Anteil an Pink Floyd Klassikern aus den – nach allgemeiner Auffassung – besten Jahren der Band. Insbesondere die zweite Seite von Wish You Were Here macht uns Freude, mit einem reduzierten Titelsong und dem drängenden Shine On You Crazy Diamond – Teil 6, bei dem Jon Carin an der Slide-Gitarre die Kohlen sicher aus dem Feuer holt.

Zum mächtigen Sheep aus Animals fliegt ein neues Aufblas-Schaf durchs Rund. Auf den Screens übt dazu eine Armee aus Karate-Lämmern ihre Katas – das muss man zwischen all den düster-dystopischen wohl als ein heiteres und hoffnungsvolles Bild lesen.

Kampfschafe

Karate-Schafe in Formation.

Die B-Seite von Dark Side kommt dann komplett am Stück als Set-Closer. Statt einer Laserpyramide glimmt zu Eclipse eine Kette aus gleichschenkligen Dreiecken wie eine riesige Laser-Toblerone längs durch Halle.

Toblerone unterm Mercedesstern

Eine Riesen-Laser-Toblerone.

Es wir aber auch kein reiner Fan Service geboten: die neue Comfortably Numb Version ist seeehr getragen, einen Ton tiefer und verzichtet auf das ekstatische und karthartische  Gitarrensolo. Statt dessen gibt es soulige Klagerufe, exzessives  Donnergrollen und obendrauf den -inzwischen gut dokumentierten- mystischen Seagull-Sound-Effekt, ein weiteres Markenzeichen aus Pink Floyds Signaturphase. Für mich ist das etwas zu Musical-mäßig.

Nach dem unvermeidlichen Brick-Block folgt vermutlich harte Kost für die Casual-Fans: Neue Lieder und solche von Radio KAOS! The Powers That Be schiebt mächtig und von martialischen Bilder bewegt durch die Halle. Ich finde es eine Spur zu langsam und zu träge – vor einem knappen Viertjahrhundert an der USA-Ostküste (hüstl)  war da mehr Zug drin.

https://www.sigge-rocktours.de/roger-waters-jones-beach-1999/

Auch die erste Zugabe, Two Suns in the Sunset aus The Final Cut, ist keine leichte Kost und zählt auch wahrlich nicht zu den bekanntesten Pink Floyd-Stücken. Der Anti-Atomwaffen-Protest-Song mit der -Stolpergefahr- 9/8-Taktung erweist sich aber als wirkmächtiger Schlusspunkt, hinter dessen Botschaft man sich vereinigen kann.

Eine Projektion des streitbaren Künstlers scheint auf den streitbaren Künstler selbst in seiner Überwältigungskulisse zu weisen.

Oft haben wir uns reduziertere, nahbarere Shows von Roger Waters gewünscht. Weniger Gewinke, weniger erhobene Fäuste  und weniger Pantomime, mehr von den vielen tollen Solo-Songs. Mehr von der brüchigen, aber anrührenden Live-Stimme. Und zeitweise bekommt man das nun geboten: Beim bewegenden Bravery of Being out of Range. Bei Deja Vu und Is this the Life we really want? vom vorletzten Album. Und ganz am Ende im zweiten Teil des neuen Stückes The Bar, wenn Waters ein weiters Mal zu seinem Lebensthema zurückkehrt, dem frühen Verlust seines Vaters: Immerhin seien ihm, so heißt es da sinngemäß, im Gegensatz zum – inzwischen verstorbenen- großen Bruder die Erinnerungen an den Vater erspart geblieben, dazu war er noch zu jung bei dessen Tod.  Selbstmitleidig und rührselig, hin oder her – in diesem Moment ist Waters nahbar und verletzlich und sein Werk und seine Motivation auf den Kern konzentriert. Ein wunderbarer, trauriger und gleichzeitig tröstlicher Moment im dem Getöse des Überwältigungs-Theaters das Waters hier veranstaltet.