Nach dem gelungenen Open-Air-Gastspiel in der Spandauer Zitadelle im vergangenen Jahr hatte Bob Dylan für diesen Berlin-Besuch erst zwei, dann drei Abende im Tempodrom gebucht. Dass Dylan in kleinere Hallen (das Tempodrom fasst etwas 3.500 Zuschauer) auftritt und dafür einigen Städten mehrere Abende hintereinander auftritt, ist eine Neuerung im Tourneekalender des anscheinend nimmermüden und fleißig konzertierenden Senioren. Auch neu: Dylan teilt sein Set so in zwei Hälften, macht eine 20-minutige Pause im Konzert und fasst die Gitarre nun gar nicht mehr an. In der Berliner Presse wurde drauf zum ersten Abend getitelt: “Dylan überrascht Fans” – nun ja, ganz soweit würden wir da nun nicht mitgehen…
Ansonsten blieb nämlich viel beim guten, alten: Die Band war personell unverändert und hat sich nach Charlie Sextons Wiederkehr nun nochmals gesteigert: Kompakt, fokussiert und unheimlich dynamisch begleiten sie druckvoll und gleichzeitig zurückhaltend den schratigen Dylan, der die Mundharmonika wieder vermehrt als sein Melodieinstrument einsetzt und am Flügel mit teilweise erratischen Einwürfen und improvisierten Phrasen aus 2-3 Tönen den Songs neue Wendungen verleiht. Die Band folgt im auf Schritt und Tritt. Auf der Bühne blieb auch einiges wie gehabt: Der Oscar (für “Things Have Changed“) steht ungerührt auf dem Verstärker herum, ebenso die Orgel mit der seit Jahren unbenutzten, rätselhaften Pedal-Steel-Gitarre davor. Etwas schrullig eben – wie eh und je. Das alles findet wie immer vor einem eleganten, schweren Theatervorhang statt, überdimensionale, antike Filmscheinwerfer tauchen die Bühne in warmes, sanftes Herbstlicht (Welch ein Unterschied zu Peter Gabriels LED-Spektakel in der Woche zuvor ).
Die größte Neuerung dürfte sein, dass Dylan dazu anscheinend dazu übergegangen ist, seine Setlist nur noch minimal zu variieren. Dabei liegt der Focus deutlicher als bei vergangenen Konzerten auf den aktuellen Alben – das heißt in Dylans Fall heißen: die immerhin vier Alben letzten 12 Jahre. Ein Zeichen dafür, dass der 73-Jährige alles andere ist als ein Oldies-Act, der sich auf Lorbeeren vergangener Großtaten ausruht. Ein Höhepunkt in der ersten Hälfte ist auch der Opener des neuen Albums: “Duquesne Whistle” mit seinen treibendem Shuffle Beat und den zwei seltsamen Breaks gegen Ende ist schon jetzt ein neuer Klassiker im Programm. “What Good am I” von “Oh! Mercy” präsentiert Dylan in einer neuen (möglicherweise an einer Coverversion von Tom Jones orientierten?) Variante, die an die Arrangements des epochalen 97er Albums “Time Out of Mind” erinnert – sehr gut! Das an diesem Abend wieder grandiose “Love Sick” aus ebendiesem Meisterwerk beschließt den ersten Teil.
Im zweiten Teil werden vornehmlich jüngere Nummern zu Gehör gebracht. Höhepunkt dabei ist das mit Arpeggio-Gitarre und seufzender Geige eingerahmte “Forgetful Heart“. Herzzerreißend schön! Insgesamt hat sich der Sound von Dylans Band eher Richtung Suffle, Jazz, Folk und Blues entschleunigt – die (blues-)rockigen Ausflüge fehlen an diesem Abend fast ganz. “Tangled Up in Blue” haben wir schon schöner (oder weniger vernuschelt und verwurschtelt) gehört – geschenkt, dafür war “Simple Twist of Fate” diesmal besonders fein.
Den Abschluss machen das bekannte Zugaben-Paar “All Along the Watchtower” und “Blowin’ in The Wind“. “Watchtower” wird im Vergleich zu den letzten Konzerten zurückhaltender mit weniger Echo auf der Stimme und etwas leiser, zurückhaltender intoniert, dafür gibt es gibt es noch einen knappen, rockigen Ausbruch zum Ende. Ein zeitlos schöner Herbstabend mit dem großen Bob Dylan.
Setlist:
1. Things Have Changed
2. She Belongs To Me
3. Beyond Here Lies Nothin’
4. What Good Am I?
5. Pay In Blood
6. Waiting For You
7. Duquesne Whistle
8. Tangled Up In Blue
9. Love Sick
(Pause)
10. High Water (For Charley Patton)
11. Simple Twist Of Fate
12. Early Roman Kings
13. Forgetful Heart
14. Spirit On The Water
15. Scarlet Town
16. Soon After Midnight
17. Long And Wasted Years
(Zugaben)
18. All Along The Watchtower
19. Blowin’ In The Wind