Beim Betreten der Halle fallen einem gleich die Aerosolwolken auf. Vor zweieinhalb Jahren, bei meinem letzten Konzert vor der Pandemie, wäre mir das gar nicht so aufgefallen. Nebelmaschinen sorgen schon beim Einlass dafür, dass eine gewisse sichtbare Aerosoldichte in der Hallenluft herrscht, damit die Lightshow später besser wirkt.

Weiterhin fällt der Britannia Row-Schriftzug auf den Flightcases am FOH auf. Der Sound an diesem Abend sollte also gut werden. Das bewahrheitete sich auch: Klar und knackig mit sattem Bass werden wir später beschallt.

Turn it on Again

Ohne Vorgruppe geht es mit wenigen Minuten Verspätung dann los. Die Setlist ist erprobt und auf der Tour bisher unverändert. Den Anfang machen Behind the Lines / Duke’s End gefolgt von Turn It On Again und Mama. Eine sichere Bank. Dann die erste Ansprache des Abends.

Collins bedankt sich bei den deutschen Behörden für die Genehmigung, hier heute Abend spielen zu dürfen. Dann kündigt er mit Land of Confusion den Song an, der einst über Thatcher und Reagan geschrieben wurde, zwischenzeitlich auch auf Boris Johnson passte und nun könne er seiner Meinung nach ganz gut zu Putin passen.

Auch beim Rest der Setlist bewegt man sich in sicheren Gewässern. Hits gibt es genug, Live-Klassiker wie Home by the Sea ziehen immer.

Ein wenig Lagerfeuerfeeling gab es dann später bei einer kleineren Acoustic-Session alte Songs wie That’s All oder The Lamb Lies Down on Broadway ausgepackt wurden.

Einziger Wermutstropfen: Manche Songs wie Tonight, Tonight, Tonight wurden leider stark zusammengekürzt. Trotzdem kommen wir auf eine beachtliche Spielzeit von knapp 140 Minuten.

Fading Lights

Wesentlicher Bestandteil eines Genesis Konzerts ist natürlich auch die Light-Show. Was gerne vergessen wird: Genesis finanzierten damals die Entwicklung der Vari*Lights mit und öffneten so der ganzen Branche neue Türen. Sie wussten auch immer, wie man diese Technik passend einsetzt und gehörten zu den ersten Bands, die – damals schon bewegliche – Videoleinwände gekonnt in Kombination mit der Beleuchtung einsetzte.

Viele Künstler scheitern da heute noch in beiden Disziplinen. Erstaunlich dabei, dass der Look einer Genesis Show immer vertraut erscheint. Bestimmte Gelb- und Lila-Töne stehen einfach für eine Genesis-Light-Show.

Über der Bühne schweben fünf große Dominosteine, die als Trägerplattform für je 16 Vari*Lights dienen. Zusammen mit der ebenfalls variabel aufgehängten LED-Leinwand bilden sie die Grundlage für eine wirklich gute Lightshow. Den guten alten Kunstnebel auf der Bühne gibt es natürlich auch. Auch in dieser Disziplin Pflicht und Kür vorbildlich erfüllt.

Definitely a Son of Yours

Eine Frage kann auch schnell abgehandelt werden. Die scheinbar undankbarste Aufgabe auf dieser Tour hat Nic Collins, der die großen Fußstapfen seines Vaters hinter dem Drum Kit ausfüllen muss. Er arbeitet den Abend über sichtbar hart, was sich auch auszahlt. Er ersetzt seinen Vater an den Drums sogar authentischer als es Chester Thompson früher getan hat. Da reiht er sich zusammen mit Zak Starkey und Jason Bonham in die Reihe der Drummer-Söhne ein, die es geschafft haben, einen heißen Stuhl adäquat zu besetzen.

Dass es nach der Bandvorstellung mit No Son of Mine weitergeht, muss wohl englischer Humor sein. Übrigens der einzige Song, den ich an dem Abend gerne durch einen anderen Song ersetzt gesehen hätte.

Wie war Phil denn nun?

Selten bekam ich nach dem Konzert so viele Fragen per What’sApp und E-Mail „Und, wie war es?“ Gemeint war aber vermutlich immer „Wie war ER?“.  Sah oder hörte man sich Mitschnitte der ersten Konzerte des ersten Tourlegs an, merkte man deutlich, wie Collins anfangs zu kämpfen hatte. Im Laufe der Tour besserte sich seine Stimme aber immer mehr. Der Abend in Hannover war das dritte Konzert des aktuelle Europa-Legs mit einem Tag Abstand zu den vorherigen Konzerten in Berlin. Das tat der Stimme an diesem Abend sicherlich gut.

Phil Collins, der Springinsfeld der 80er und 90er ist inzwischen ein alter Mann, der am Krückstock auf die Bühne schlurft. Dass er nach einer misslungenen Rücken-OP keine Drum-Sticks mehr halten kann, haben wir alle schon irgendwo gelesen. Während der Show sitzt, oder besser hängt, er auf einem Stuhl vor dem Drum-Kit, hinter dem nun sein Sohn werkelt, den er dabei gerne beobachtet. Was man ihm nicht absprechen kann: Er gibt sich Mühe. Auch wenn sich seine Stimme hin und wieder ins Donaldeske verabschiedet und die beiden Backgroundsänger eine gute Unterstützung darstellen, gibt es viele Passagen, in denen man ihm seinen Gesundheitszustand nicht anmerkt. Ohne Not würde er auch keine Songs wie Dancing With the Moonlit Knight oder The Carpet Crawlers in die Setlist aufnehmen, wenn er sich nur irgendwie durchmogeln wollte.

In den Kommentaren der Youtube-Videos gibt es zwei Lager. „Großartig“ sagen die einen „Peinlich, lass es lieber“, die anderen. Natürlich sehen wir hier nicht mehr den Phil Collins von der We Can’t Dance Tour 1992. Dafür sind Banks, Rutherford und Stuermer mindestens ebenso gut wie damals und Nicholas Collins haben wir eben schon gelobt. Eins muss man Phil auch lassen. Wenn er seine nun fast 40 Jahre alten Genesis-Party-Trick The Domino Principle auspackt, dann funktioniert der immer noch so gut, wie in den Jahrzehnten zuvor. Die Crowd-Control von damals hat er auf jeden Fall noch. Für mich hat es gepasst. Ich war froh, einen Haken auf meiner Liste machen zu können und habe den hohen Ticketpreis auch nicht bedauert.

Der Preis bestimmt das Publikum

Dass ein Genesis Konzert mein erstes Konzert nach dem Ausbruch der Pandemie werden würde, hätte ich bis vor einer Woche auch nicht gedacht.

Genesis hatten 2020 ein unglückliches Händchen mit der Ankündigung ihrer The Last Domino? – Tour genau zum Ausbruch der Pandemie. Das erste Leg musste verschoben und später sogar abgebrochen werden. Die Ende 2021 angekündigten Europatermine für das erste Quartal 2022 standen bis kurz vor knapp auf der Kippe. Erst zwei Wochen vorher kam die Genehmigung für die Konzerte in Deutschland. 75% der (theoretischen) Hallenkapazität durften genutzt werden. Die Bühne blockiert Plätze und im bestuhlten Innenraum sitzen eh weniger Leute als bei einem Stehplatzkonzert. Passte irgendwie.

Genesis stand immer noch auf meiner Konzert-Bucket-List. Als Kinder der 80er und 90er kam man damals an Phil Collins und Genesis nicht vorbei. Diverse Videokassetten von Konzerten liegen immer noch im Schrank. Im Nachhinein ärgerte ich mich, die 2007er Tour irgendwie verpasst zu haben.

Als die Tickets für die Europatour in den Verkauf gingen, waren meine Ambitionen schnell vorbei. Der ersten Reihen wurden für 650 Euro angeboten, im ersten Block gab es kein Ticket unter 400 Euro, der zweite Block startete mit 350 Euro. Günstige Tickets für 110 Euro gab es im 2. Oberrang, ganz oben unterm Dach. Allerdings waren diese sofort ausverkauft. Die teuren Tickets gingen hingegen nur zäh weg. Als die Konzerte nun kurzfristig genehmigt wurden, schaute ich bei einem großen (offiziellen) Tickethändler vorbei. Siehe da: Es gab im ersten Block, Mitter der Bühne in Reihe 14 noch ein paar vereinzelte Tickets für 200 Euro. Nach zweieinhalb Jahren Abstinenz konnte man sich mal etwas gönnen. Also auf nach Hannover, in die TUI-Arena, die inzwischen ZAG-Arena heißt, aber immer noch auf dem EXPO-Gelände zu finden ist.

Genesis Hannover 2022

Angekommen am perfekten Sitzplatz. In Reihe 14 ist man noch nah genug dran, um die Personen auf der Bühne genau genug zu sehen und weit genug weg, um die Light-Show genießen zu können. Der Sound an dieser Stelle ist auch perfekt. Nächster Eindruck: Der Ticketpreis bestimmt das Publikum. Kurz dachte ich, ich hätte mich beim Datum vertan und sei bei der Jahrestagung der Hannoveraner Steuerberater gelandet. Ok, die Leute um mich herum haben alle auch 400-650 Euro für Ihre Tickets gezahlt. Aber der erste Eindruck ist ja oft trügerisch. Die Stimmung war ausgezeichnet, zwischen den Songs gab es spontane Standing Ovations und auch bei den berühmten Genesis-Party-Tricks wurde freudig mitgemacht. Ein ähnliches Publikum findet man auch bei Gilmour- oder Waters-Konzerten. Dazwischen gibt es aber immer wieder deutlich jüngere Fans, die wegen der Musik kommen und nicht wegen der Jugenderinnerungen. Die sehen wir hoffentlich demnächst wieder bei den Konzerten von Nick Mason’s Saucerful of Secrets.

Setlist

Behind the Lines / Duke’s End

Turn It On Again

Mama

Land of Confusion

Home by the Sea

Second Home by the Sea

Fading Lights (short version)

The Cinema Show

Afterglow

That’s All

The Lamb Lies Down on Broadway

Follow You Follow Me

Duchess

No Son of Mine

Firth of Fifth

I Know What I Like (In Your Wardrobe)

Domino

Throwing It All Away

Tonight, Tonight, Tonight (short version)

Invisible Touch

Encore:

I Can’t Dance

Dancing With the Moonlit Knight

(intro & first verse only)

The Carpet Crawlers